SDG_16_Option_16_18_pdf_20231119_182415.txt

Optionen
und
Maßnahmen
Österreichs Handlungsoptionen
zur Umsetzung
der UN-Agenda 2030
für eine lebenswerte Zukunft.
UniNEtZ –
Universitäten und Nachhaltige
Entwicklungsziele
Optionen und Maßnahmen1
16_18 / Medienbildung und Medienkompetenz fördern16_18
Target 16.10Autor:
Univ.-Prof. Dr. Hug, Theo ( LFU Innsbruck, Institut für
Medien, Gesellschaft und Kommunikation )
Reviewer_innen:
Dr. phil. habil. Paganini, Claudia ( LFU Innsbruck, Insti –
tut für Systematische Theologie ); Dr. Wehinger, Daniel
(LFU Innsbruck, Institut für Christliche Philosophie )Medienbildung und Medienkompetenz
fördern
2
3 16_18 .1 Ziele der Option
3 16_18.2 Hintergrund der Option
5 16_18.3 Optionenbeschreibung
5 16_18.3.1 Beschreibung der Option bzw. der zugehörigen Maßnahmen
bzw. Maßnahmenkombinationen
7 16_18.3.2 Erwartete Wirkweise
8 16_18.3.3 Bisherige Erfahrungen mit dieser Option oder ähnlichen Optionen
8 16_18.3.4 Zeithorizont der Wirksamkeit
9 16_18.3.5 Offene Fragestellungen
9 LiteraturInhalt
Optionen und Maßnahmen16_18.1 Ziele der Option
Hand in Hand mit den kontemporären Bedingungen
der Digitalität und historisch neuen medialen Konstellationen verändern sich
Dynamiken und Kulturen der Kommunikation und des Wissens. Einerseits werden
massive Investitionen in Digitalisierungsindustrien getätigt, andererseits werden
sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht keine angemessenen
Ressourcen zur Schadensbegrenzung und zur Abschwächung von unerwünschten
„Nebeneffekten“ oder problematischen Entwicklungsdynamiken zur Verfügung ge –
stellt.1 Die Option zielt auf angemessene Formen der Komplexitätsbewältigung, die
Überwindung unterkomplexer Problembeschreibungen und halbherziger Lösungs –
ansätze ab. Insofern von vielen Seiten eine Stärkung von Bildung, Medienbildung
und Medienkompetenz als zentraler Hebel zur Bearbeitung der Problemlagen der
SDGs generell und insbesondere des Targets 16.10 sowie der Fragen des Zugangs
zu qualitätsvollen Informationen und der Gewährleistung von Grundfreiheiten ein –
gefordert wird, ist es wichtig, dass verkürzte Problembeschreibungen und Lö –
sungsansätze als solche erkannt und überwunden werden.
Irreführende und simplifizierende Beschreibungen
lassen sich oft im Zusammenhang verkürzter Ausdrucksweisen und TechSpeak
ausmachen. Während die Hoffnungen auf Innovation im Bildungswesen seinerzeit
mit „e-Aktivitäten“ aller Art verknüpft waren ( eLearning , eEducation , eHealth , eGo-
vernment usw.), sind es in neuerer Zeit neben allerhand Digitalisierungsrhetoriken
„o-Kürzel“, die im Vordergrund stehen.
So schrieb beispielsweise Peter Materu (2004) in sei –
nem Bericht zum Stand des Wissens über Open Source Courseware (OSCW ) im
Jahr 2004: „If the nineties were called the e-decade, the current decade could be
termed the o-decade (open source, open systems, open standards, open access,
open archives, open everything)“ (S. 5). Obwohl es in diesem bald zwanzig Jahre
alten Dokumen um den tertiären Bildungssektor geht, werden einerseits altbekann –
te Verknüpfungen wie Open Education , Open Learning oder Open Mindedness
nicht erwähnt. Andererseits könnte er den Anspruch einer relevanten Charakteri –
sierung angesichts der weiten Verbreitung von Komposita wie Open Government ,
Open Innovation , Open Data oder Open Science zwanglos auch für die aktuelle
Dekade erheben. Gegenwärtig spielen Entwicklungen des Open Everything und
der Literacification of Everything sowie der Digitalisierung, der Datafizierung und
des Demokratiemanagement (Mausfeld, 2018) eine wichtige Rolle. Theoretisch
unterkomplexe Begründungen2 angestrebter bildungspolitischer Maßnahmen er –
schweren die Erreichung von Zielsetzungen im Sinne der SGDs.
16_18.2 Hintergrund der Option
Forderungen nach der Gewährleistung öffentlicher Zu –
gänge zu Informationen und nach dem Schutz der Grundfreiheiten, im Einklang mit
den nationalen Rechtsvorschriften und völkerrechtlichen Übereinkünften, korres –
pondieren mit medien-, informations- und bildungspolitischen Fragestellungen im
gesellschaftlichen Kontext. Sie korrespondieren darüber hinaus insofern mit allen
31 Siehe exemplarisch die oftmals beklagten Suchtphänomene im Kontext der Mediennutzung, soziale
Isolation, Filterblasen und Echokammern, fehlende Chancengerechtigkeit und sozio-ökonomische
Ungleichheitsdynamiken, Radikalisierungsprozesse, Halbbildung und unzeitgemäße Bildungsformate etc.
2 Siehe exemplarisch Brandhofer et al. (2019) und die lerntechnologisch verkürzten Diskurse zur digita –
len Grundbildung und zu digitalen Kompetenzen.
16_18 / Medienbildung und Medienkompetenz fördernNachhaltigkeitszielen, als die Verfügbarkeit von Informationen über die Geschich –
te und die Begründungskontexte dieser Ziele in globaler sowie in regionaler und
nationaler Perspektive in qualitativen und quantitativen Hinsichten erheblichen
Schwankungen unterliegt. Analoges gilt für entsprechende Umsetzungskonzepte
und Maßnahmen. Hinzu kommt eine besondere Korrespondenz mit dem Ziel hoch –
wertiger Bildung (SDG 4), denn ohne hochwertige Bildung, ohne Basiskenntnisse
von Mediensystemen und medialen Konstellationen, ohne basale Medienkompe –
tenzen und ohne analytische und reflexive Fähigkeiten können öffentliche Zugänge
zu Informationsangeboten kaum sinnvoll genutzt werden. Ohne solche Fähigkeiten
kann auch nicht umstandslos von Möglichkeiten der differenzierten Einschätzung
der Qualität der verfügbaren Informationsangebote oder von einem angemessenen
Verständnis der komplexen Zusammenhänge der SDG-Aktivitäten bzw. diesbezüg –
lichen Unterlassungshandlungen ausgegangen werden.
Der Ist-Zustand in Österreich stellt sich ambivalent
dar. Folgt man dem jüngsten nationalen Bericht zur Umsetzung der SDGs (Bun –
deskanzleramt, 2020), dann ist Österreich insgesamt auf einem guten Weg und
die Lage stellt sich auch mit Blick auf Target 16, Frieden, Gerechtigkeit und starke
Institutionen , sehr positiv dar. Das Teilziel 16.10 gilt diesem Bericht zufolge als
weitgehend umgesetzt. Öffentlicher Zugang zu Informationen wird gewährleistet
und im Kampf gegen Korruption wurde vom Bundesamt für Korruptionsprävention
und Korruptionsbekämpfung (BAK ) in den letzten Jahren ein umfassendes Ange –
bot an Schulungen und Veranstaltungen gefördert, „das bereits auch Schülerinnen
und Schüler sensibilisiert“ (Bundeskanzleramt, 2020, S. 98).
Diese Schulungen und Veranstaltungen verdeutlichen
exemplarisch einen allgemeinen Zusammenhang: Mit Blick auf die Beachtung von
Grundwerten der Aufklärung und Menschenrechten, die Suche nach treibenden
Kräften für die Geschlechtergleichstellung sowie die Ermöglichung von sozialem
Frieden und sozialer Gerechtigkeit wird gemeinhin die Förderung von schulischen
und außerschulischen Bildungsprozessen als notwendige Bedingung erachtet.
Dass selbst eine qualitativ und quantitativ stark verbesserte Förderpolitik ange –
sichts der prioritären Förderung ökonomistischer und technologischer Entwick –
lungsbereiche keine hinreichende Bedingung darstellen kann, braucht hier nicht
näher erläutert zu werden.
Die Ambivalenz des Ist-Zustands in Österreich und
Tendenzen zur beschönigenden Selbstbeschreibung lassen sich anhand des Krite –
riums der Pressefreiheit verdeutlichen. Österreich liegt hier durchaus im internatio –
nal negativen Trend, der von der SDG16 Data Initiative wie folgt zusammengefasst
wird: „In the area of press freedom and other ‘fundamental freedoms,’ however,
the trends are disturbingly negative, according to reports by leading journalism
groups and human rights organizations“ (SDG16 Data Initiative, 2019, S. 48). Dass
es hier nicht nur um den permanent wachsenden Arbeitsdruck für Produktion in
immer mehr (digitalen) Kanälen (Kaltenbrunner et al., 2020) oder um Einzelfälle
bedrängter oder bedrohter Journalist_innen geht,3 zeigt sich in den zunehmend
verschlechterten Positionierungen in den letzten Ranglisten der Pressefreiheit:
Während Österreich im Jahr 2011 den fünften Platz belegte, war es 2019 Platz 16,
2020 Platz 18 und heute (2022) ist es Platz 31.4
43 Siehe exemplarisch Bonvalot (2020, 5. März) sowie Tautz (2019).
4 Siehe Reporters Without Borders (2020) sowie Reporter ohne Grenzen (2011, 2019, 2020, 2022)
https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2020/Nah –
aufnahme_Europa_2020_EN_-_RSF.pdf“Reporter ohne Grenzen (2020)“).
Optionen und MaßnahmenDie Rangliste der Pressefreiheit 2020 von Reporter
ohne Grenzen (RSF ) macht deutlich, dass die negativen Trends und die damit ver –
knüpfte Behinderung differenzierter und unabhängiger Berichterstattung nicht nur
autokratische Systeme nach dem Muster des Einparteiensystems der Volksrepu –
blik China, sondern autoritäre Tendenzen in vielen Ländern dieser Erde betreffen.
Das betrifft nicht zuletzt überwachungs- und kontrollstaatliche Entwicklungsdyna –
miken im Kontext der Corona-Pandemie, die nicht auf Empfehlungen der wissen –
schaftlichen Expert_innen der Corona-Taskforces zurückgehen und auf andere als
gesundheitspolitisch relevante Zwecke ausgerichtet sind.
Die Ambivalenz des Ist-Zustands in Österreich wird
nicht zuletzt in der Berichtslegung des Europäischen Parlaments klar unterstrichen
(European Parliament, 2019). Kritische Einwände beziehen sich unter anderem
auf mangelhafte Langzeitstrategien und unklare Monitoring-Frameworks (Euro –
pean Parliament, 2019, S. 21), fehlende Informationsversorgung und Verzicht auf
den Einsatz der vorgesehenen „strategic tools for knowledge input“ (European
Parliament, 2019, S. 47) sowie Mängel im Bereich klar identifizierbarer Aktivitäten
und Pläne (European Parliament, 2019, S. 81). Auch die SDG Watch Austria , ein
Zusammenschluss von mehr als 150 zivilgesellschaftlichen und gemeinnützigen
Organisationen, kommt mit Blick auf die Umsetzung der Agenda 2030 und die
Erreichung der SDGs in Österreich zu ähnlich nüchternen Einschätzungen (siehe
SDG Watch Austria, o. J.).
Das bedeutet nicht, dass keine SDG-bezogenen Maß –
nahmen (Bundeskanzleramt, 2020) und keine positiven Beispiele zu verzeichnen
sind.5 Was allerdings die Gewährleistung öffentlicher Zugänge zu Informationen
und den Schutz der Grundfreiheiten betrifft, so ist nicht zu übersehen, dass (a)
historische Fragen der Zensur (Korn, 2007) und kontemporäre Tendenzen der
„Hofberichterstattung“ – nicht nur in traditionellen Print-Medien, sondern auch und
gerade in Social Media -Kontexten und im Kontext von Web-Auftritten – unter –
belichtet bleiben, dass (b) die aktuellen Ergebnisse der Medien- und Kommuni –
kationsforschung sowie der Informations- und Wissenskluftforschung nicht zum
Anlass für zukunftsoffene Medien-, Bildungs- und Informationspolitiken unter
konsequenter Beachtung der Datenschutzgrundverordnung (DSVG) genommen
werden, dass (c) die bestehenden Formen der Presseförderung in erster Linie den
Boulevardmedien zugutekommen und nicht auf die Erfordernisse qualitätsvoller
Berichterstattung in postkonventionellen Mediensystemen abgestimmt werden, und
dass (d) Medien- und Informationskompetenzen nicht mit höchster Priorität und
einer Ressourenbereitstellung gefördert werden, die für eines der reichsten Länder
der Erde angemessen wäre. Immerhin belegte Österreich unter den Ländern der
Organisation de coopération et de développement économiques (OECD ) 2019 den
11. Platz (OECD, 2020) und ist auch in der Liste der Credit Suisse , die die Länder
nach dem durchschnittlichen Vermögen auf jede volljährige Person sortiert, im
Jahr 2019 auf Platz 15.6
55 Siehe u.a. https://www.nachhaltigesoesterreich.at.
6 Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Verm%C3%B6gen_pro_Kopf.
16_18 / Medienbildung und Medienkompetenz fördern16_18.3 Optionenbeschreibung
16_12 .8.1 Beschreibung der Option
bzw. der zugehörigen Maßnahmen
bzw. Maßnahmenkombinationen
Das Europäische Parlament erkennt das Bekenntnis
Österreichs zu einer gezielten Umsetzung der Agenda 2030 (European Parliament,
2019, S. 106), das nach einem Ministerratsbeschluss seit Jänner 2016 sowohl auf
der Ebene der Zuständigkeiten der Bundesministerien als auch auf der Ebene der
Vernetzung nationaler und regionaler Akteure verbindlich geworden ist, an (siehe
Bundeskanzleramt, 2020, S. 102-121). Dabei sollen die digitalen Technologien „in
allen SDG-Bereichen für Nachhaltige Entwicklung genutzt werden können. Gesell –
schaftliche, soziale, wirtschaftliche und ökologische Herausforderungen sind bei
der Gestaltung der digitalen Transformation miteinzubeziehen.“ (Bundeskanzleramt,
2020, S. 106) Betont wird: „Die Einhaltung hoher europäischer Datenschutz-Stan –
dards und der bewusste Umgang mit personenbezogenen Daten sind eine essen –
tielle Aufgabe für alle Akteurinnen und Akteure.“ (Bundeskanzleramt, 2020, S. 106)
−Kontrollinstanzen zur Einhaltung hoher europäischer Datenschutzstandards
Die Betonung der europäischen Datenschutzstan –
dards korrespondiert häufig mit Abgrenzungen von datenpolitischen Strategien
von Ländern wie USA oder China, die auf je eigene Weise versuchen, eine neue
Weltordnung von Informationszugängen sowie von Medien- und Wissensdynami –
ken herzustellen. Was die digitalen Fähigkeiten der Bürger_innen betrifft, so wurde
im Februar 2019 im Rahmen der Digitalisierungsstrategie des Bundesministeriums
für Digitalisierung und Wirtschaftsförderung ein Digitales Kompetenzmodell für
Österreich (Naŕosy, Röthler & Svencik, 2018) veröffentlicht, das digitale Alltags –
kompetenzen aller Gesellschaftsmitglieder sowie die Schule, offene Jugendarbeit
und Erwachsenenbildung betrifft und zur Verhinderung einer „digitalen Kluft“ und
zur Befähigung der Bevölkerung zur aktiven Beteiligung an deliberativen Entschei –
dungsprozessen in einer liberalen Demokratie beitragen soll. Faktisch werden diese
Standards im Bildungsbereich gegenwärtig nicht eingehalten. Hier gilt es, Kontrollin –
stanzen zur Einhaltung hoher europäischer Datenschutzstandards einzurichten, die
den Übergang der derzeitigen zentralistischen Kontroll- und Überwachungsorientie –
rungen unter Einsatz von proprietärer Software hin zu quelloffenen, dislozierten und
gemeinschaftlich kontrollierbaren sowie DSVG-konformen Infrastrukturen schaffen.
−Förderung umfassender Medienbildung, informationeller Selbstbestimmung und
kritisch-reflexiver Partizipationsfähigkeiten
Die faktischen Schwerpunktsetzungen sind derzeit
nicht prioritär auf umfassende Medienbildung, informationelle Selbstbestimmung
und kritisch-reflexive Partizipationsfähigkeiten, sondern auf technisches Anwen –
dungswissen im Umgang mit proprietärer Software, die Qualifizierung für faktische
oder vermutete Märkte und die Akzeptanz von Suggestionen der Alternativlosigkeit
eines Innovationspfades ausgerichtet, wie sie von den Digitalisierungsindustrien
kommuniziert werden. Die flächendeckende, einseitige Beförderung instrumenteller
Logiken digitaler Innovation und Transformation und die Invisibilisierung alterna –
tiver Innovationspfade (Mansell, 2018) ist jedoch Teil des Problems und nicht der
Lösung und liegt im Widerstreit mit den Nachhaltigkeitszielen. Hier gilt es, einen
Kurswechsel vorzunehmen.
6
Optionen und Maßnahmen −Förderung gemeinschaftlich kontrollierter IT-Infrastrukturen auf Basis freier und
quelloffener Software sowie Entkoppelung des Bildungswesens von den Profit –
interessen der Tech-Giganten
Die Verflechtungen von Digitalisierungsinitiativen im
Bildungswesen mit globalen bildungsindustriellen Entwicklungen sind enorm. In
den letzten Jahren sind global vernetzte Entwicklungsdynamiken entstanden, die
sich im Kern durch einen bildungsindustriellen Komplex auszeichnen und die auch
in Österreich relevant sind (Hug & Madritsch, 2020). Wenn etwa im Zusammen –
hang coronainduzierter Entwicklungsschübe ‚digitaler‘ Bildung Werbeverbote in
Schulen sowie europäische Datenschutzstandards kurzerhand suspendiert wer –
den, so werden damit tendenziell bekannte Entwicklungsdynamiken nachhaltiger
Nicht-Nachhaltigkeit (Blühdorn et al., 2020) und nicht die SDGs befördert. Hinzu
kommt, dass die Mikrostrukturen der globalen Bildungsindustrie ähnlich wie die
konsumkulturellen Angebote auf die Monetarisierung digitaler Schnittstellen und
nicht auf deren Humanisierung ausgerichtet sind. Die Innovations- und Partizipa –
tionsrhetoriken der Tech-Giganten zielen allenfalls auf die Steigerung wirtschaft –
licher Gewinne und die Stabilisierung von technologischen und sozio-kulturellen
Abhängigkeiten im digitalen Kapitalismus und nicht auf hochwertige Bildung im
Sinne von SGD 4 oder die Förderung demokratischer Kulturen und Institutionen ab.
Auf den Punkt gebracht: „If national currency represents liberal democracy, and
Bitcoin represents some combination of techno-libertarianism and anarcho-capita –
lism, then Libra represents Silicon Valley feudalism. […] This is not a ‚peer-to-peer‘
technology; rather, it bestows a peerage“ (Swartz, 2020, S. 168-169)7. Hier gilt es,
klar gegenzusteuern.
−Förderung von Medienkompetenzen unter Berücksichtigung kommunikations-
und medienkultureller Expertise
Zweifellos bieten heute Datafizierung, KI-Anwendun –
gen und Big Data Analysen vielfältige Möglichkeiten der innovativen Gestaltung
von Bildungs-, Lern- und Kommunikationsformaten. Die Verkürzung der komplexen
Herausforderungen im Bildungsbereich auf „digitale Kompetenzen“ und die Aus –
blendung der paradoxen Lagen (siehe Hug, 2018) im Zusammenhang medialer In –
klusions- und Exklusionsdynamiken sowie der Öffnung und Schließung (Rußmann,
Beinsteiner, Ortner & Hug, 2012) trägt eher zur Verstärkung von Spannungen und
Konflikten zwischen kulturell, sprachlich, ethnisch, religiös und weltanschaulich
verschiedenen Gruppen als zur Medienmündigkeit der Bürger_innen bei. Die prio –
ritäre Förderung technischer Bedienkompetenzen auf Basis proprietärer Software
soll durch eine prioritäre Förderung umfassender Medienkompetenzen unter Be –
rücksichtigung kommunikations- und medienkultureller Expertise abgelöst werden.
Entsprechend sollten auch die Orientierungsmarken zum Thema „Digitale Grund –
bildung“ (BMBWF (2022) sowie der dazu verordnete Lehrplan und die zu entwi –
ckelnden Unterrichtsmaterialien und Didaktiken einer Revision unterzogen werden.
16_18 .3.2 Erwartete Wirkungsweise
Die erwartete Wirkungsweise stellt sich je nach Bil –
dungszusammenhang, sozio-ökonomischen und medienkulturellen Hintergründen
unterschiedlich dar. Es ist anzunehmen, dass Lehrkräfte, die keine antidemokrati –
schen Absichten hegen und eher aus Ignoranz oder Bequemlichkeit zu Verhinde –
rern von Bildungsprozessen werden, sensibilisiert und informiert werden können.
Diejenigen Instanzen dagegen, die gezielt bildungsindustrielle Einflusssphären
77 „Libra“, zuvor „Facebook Coin“, ist der Name für eine private Komplementärwährung, die als Block –
chain-basierte Kryptowährung von Facebook Inc. 2021 unter dem Namen „Diem“ eingeführt werden soll
(siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Diem_(Internetw%C3%A4hrung sowie Blockchaincenter, 2020).
16_18 / Medienbildung und Medienkompetenz fördernstärken und (lern-)technologische verkürzte Lösungen fördern wollen, können mit –
hilfe wissenschaftlich fundierter Aufklärung und einer zeitgemäßen Gesetzgebung
in ihre Schranken gewiesen werden. Durch eine insgesamt gesteigerte Medien –
kompetenz lässt sich weiters verhindern, dass Menschen so leicht manipuliert
und in Abhängigkeit von Ideologien und konsumkulturellen Marketingstrategien
gebracht werden können.
16_18 .3.3 Bisherige Erfahrungen mit dieser
Option oder ähnlichen Optionen
Bislang gibt es kaum Erfahrungen mit der Option der
Förderung von Medienbildung und Medienkompetenz. Die erneuerte Fassung
des Grundsatzerlasses zur Medienerziehung (Bundesministerium für Bildung und
Frauen, 2014) auf Grund technischer Neuerungen, aktueller Medienbildungsdis –
kurse und Entwicklungsdynamiken im Bereich netzwerkbasierter und sogenannter
„Sozialer Medien“ versucht zwar einigen Facetten der Thematik Rechnung zu tra –
gen, konnte und kann aber angesichts der fehlenden Finanzierung von angemes –
senen Begleitmaßnahmen und des unverbindlichen Charakters des Unterrichts –
prinzips keine Breitenwirkung erzielen. Einzelinitiativen, wie sie auf der Homepage
des Bundeskanzleramtes beschrieben sind (Bundeskanzleramt, o. J.), greifen nur
einige Facetten der Thematik auf und sind nicht flächendeckend wirksam. Hinzu
kommt, dass hier teilweise veraltete bewahrpädagogische Orientierungen verfolgt
werden und bislang keine Mittel zur nachhaltigen Förderung medienpädagogischer
Aus- und Weiterbildungsstrukturen bereitgestellt worden sind.
Was die schulischen Kontexte betrifft, so wurden in
Österreich in den letzten Jahren hauptsächlich lerntechnologische Anwendungen
auf der Basis kommerzialisierter Angebote der globalen Bildungsindustrie (ins –
besesondere Microsoftprodukte) und des digi.kompP -Modells intensiv gefördert
(virtuelle ph, o. J.). Dieses Modell stellt im Vergleich zum europäischen Modell
DigCompEdu8 eine reduktionistische Fassung dar, die wesentlich auf die Fokussie –
rung von technischen Bedienkompetenzen ausgerichtet ist und die der Komplexität
und Vielgestaltigkeit der zu bewältigenden Aufgaben nicht gerecht werden kann.
Inwieweit das laufende Projekt Lehrplan2020 des BMBWF mit der ansatzweisen
Überwindung von Fächergrenzen und sogenannten „übergreifenden Themen“ (bis –
her „Unterrichtsprinzipien“), darunter „Informatische Bildung“ und „Medienbildung“,
und deren Einbindung in alle Fachcurricula eine Verbesserung bedeuten wird,
hängt wesentlich davon ab, wie schulische und außerschulische Entwicklungs –
bereiche der Medienbildung und Medienkompetenz in gesamtgesellschaftlichen
Kontexten in den Blick genommen und für die Professionalisierung medienpädago –
gischer Tätigkeitsfelder angemessene Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
Eine solche Verbesserung hängt weiters auch davon ab, ob bei der künftigen
Ausgestaltung des Pflichtgegenstands „Digitale Grundbildung“ von einem Primat
sogenannter „digitaler Kompetenzen“ Abstand genommen wird zu Gunsten eines
umfassenderen Verständnisses von Medienbildung, das dem komplexen Zusam –
menspiel sozialer, kultureller, ethischer, gesellschaftlicher und technologischer
Dimensionen von Medienentwicklungen angemessen Rechnung trägt.
16_18 .3.4 Zeithorizont der Wirksamkeit
Die Option mit ihren Maßnahmen wirkt sowohl
−kurzfristig – Orientierung über bildungsindustrielle Zusammenhänge und Ver –
deutlichung unerwünschter daten- und informationspolitischer Entwicklungen,
88 Siehe European Commission (o. J.) sowie die dort angeführten Publikationen.
Optionen und Maßnahmeninsofern qualitätsvolle Weiterbildungsangebote und differenzierte Aufklärungsan –
gebote bereitgestellt werden – als auch
−mittelfristig – insofern bei Lehrer_innen, Schüler_innen, Administrator_innen
und Eltern das Bewusstsein der Relevanz von und die Kompetenz im Umgang
mit Medien erhöht wird – und
−langfristig – insofern es durch anhaltendes Engagement in dem beschriebenen
Sinn gelingen kann, kognitive und soziale Orientierungs-, Demokratie-, Kritik-
und Konfliktfähigkeit auf breiter Basis zu befördern.
16_18.3.5 Offene Fragestellungen
−Mediensozialisation und Medienkultur in Österreich: Wie gestalten sich die aktu –
ellen Entwicklungen?
−Medienbildungsforschung: Wie können zukunftsweisende Bildungsangebote
gestaltet werden, ohne dabei in die Fallen technizistisch und ökonomistisch ver –
kürzter Auffassungen von „Bildung als Ware“ zu tappen?
−Medienkultur und Medienkompetenz: Wie lassen sich flächendeckende Angebote
für alle Bildungsschichten jenseits bildungsindustriell vorgefertigter Kommunika –
tionsmuster sicherstellen?
9Literatur
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