SDG_16_Option_16_05_pdf_20231119_182412.txt

Optionen
und
Maßnahmen
Österreichs Handlungsoptionen
zur Umsetzung
der UN-Agenda 2030
für eine lebenswerte Zukunft.
UniNEtZ –
Universitäten und Nachhaltige
Entwicklungsziele
Optionen und Maßnahmen1
16_05 / Sexualisierte Gewalt gegen Kinder bekämpfen16_05
Target 16.2Autor_innen:
Dr. phil. habil. Paganini, Claudia (LFU Innsbruck,
Institut für Systematische Theologie), Ao. Univ. Prof.
Dr. Guggenberger, Wilhelm (LFU Innsbruck, Institut für
Systematische Theologie)
Reviewer:
Dr. Wehinger, Daniel (LFU Innsbruck, Institut für
Christliche Philosophie), Dr. Sax, Helmut (Ludwig
Boltzmann-Institut für Grund- und Menschenrechte
Wien)Sexualisierte Gewalt gegen Kinder be –
kämpfen
2
3 16_05 .1 Ziele der Option
3 16_05.2 Hintergrund der Option
4 16_05.3 Optionenbeschreibung
4 16_05.3.1 Beschreibung der Option bzw. der zugehörigen Maßnahmen
bzw. Maßnahmenkombinationen
6 16_05.3.2 Erwartete Wirkweise
7 16_05.3.3 Bisherige Erfahrungen mit dieser Option oder ähnlichen
7 16_05.3.4 Zeithorizont der Wirksamkeit
7 16_05.3.5 Vergeich mit anderen Optionen, mit denen das Ziel erreicht werden kann
7 16_05.3.6 Interaktionen mit anderen Optionen
8 16_05 .3.7 Offene Fragestellungen
8 LiteraturInhalt
Optionen und Maßnahmen16_04.1 Ziele der Option
Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche liegt
nicht nur dann vor, wenn die Opfer mit physischer Brutalität gezwungen werden,
sexuelle Handlungen über sich ergehen zu lassen . Im Gegenteil: Gerade Minder –
jährige sind vorwiegend sexualisierter Gewalt ausgesetzt, die von Personen be –
gangen wird, die ihnen emotional nahestehen und die sie mit besonderer Zuwen –
dung bzw. mit manipulativem Verhalten dazu bringen, etwas zu erdulden, das sie
eigentlich nicht möchten und von dem sie spüren, dass es nicht richtig ist, ihnen
nicht gut tut. Da es sich in der Regel nicht um einmalige Ereignisse, sondern um
wiederholte Übergriffe handelt, sind die Folgen umso schwerwiegender: Schuld-
und Schamgefühle, gestörtes Empfinden des eigenen Körpers, Überzeugung
der eigenen Wertlosigkeit, Gefühle von Erniedrigung und Verlassenheit, massive
Ängste sowie – insbesondere – die Gefahr, im Erwachsenenalter despotische
Partner_innen zu wählen, da Liebe und Missbrauch in der Kindheit als Einheit
erlebt worden sind. Ziel der Option muss es daher sein, die ganze Bandbreite der
sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche wahrzunehmen und entschlossen
zu bekämpfen. Nur so haben Kinder und Jugendliche die Chance, sich als sexuell
selbstbestimmt zu erleben und mit einem guten Selbstwertfühl in die Zukunft zu
gehen.
16_04.2 Hintergrund der Option
Ähnlich wie die anderen im Kontext von Target 16.2
entwickelten Optionen kann sich auch die Forderung nach einer Bekämpfung der
sexualisierten Gewalt gegen Kinder auf einen soliden kinderrechtlichen Rahmen
beziehen, insbesondere auf die Kinderrechtekonvention, das Bundesverfassungs –
gesetz Kinderrechte, die verschiedenen Formulierungen des Gewaltverbotes
sowie spezifischere Standards, etwa die EU Richtlinie gegen sexuelle Gewalt und
Ausbeutung von Kindern (Europäisches Parlament & Rat der Europäischen Union,
2011) oder die „Lanzarote Konvention“ des Europarats zum selben Thema (Council
of Europe, 2007).
In der Praxis stellt sich die Situation jedoch als
schwierig dar. Denn trotz den vereinzelt von unterschiedlichen Akteur_innen durch –
geführten Untersuchungen liegt für Österreich nach wie vor keine aktuelle wissen –
schaftliche (Prävalenz-)Studie dazu vor, wie viele Kinder und Jugendliche aktuell
von sexuellen Übergriffen und sexualisierter Gewalt betroffen sind. Unter Berufung
auf ältere Studien geht der vom Netzwerk Kinderrechte Österreich erstellte „Er –
gänzende Bericht zum 5. und 6. Bericht der Republik Österreich an die Vereinten
Nationen“ davon aus, dass „15-30 % aller Mädchen und 5-15 % aller Buben im
Laufe ihrer Kindheit und Jugend sexuelle Übergriffe erleben, also zumindest ein –
mal im Laufe ihrer Kindheit und Jugend die Erfahrung gemacht haben, gegen den
eigenen Willen in einer Form berührt worden zu sein, die sie als belästigend oder
bedrängend empfunden haben.“ (Netzwerk Kinderrechte, 2019, S. 22)
Dabei ereignet sich sexualisierte Gewalt gegen Kinder
und Jugendliche zum überwiegenden Teil im sozialen Nahraum, das heißt im en –
geren Familien- und Bekanntenkreis. Ein anderer Ort der sexuellen Gewalt ist die
Gesellschaft und zwar zum einen Einrichtungen wie Schule, Sport- oder andere
Vereine, innerhalb derer erwachsene Betreuer_innen ihre Machtstellung missbrau –
chen, um sich sexuelle Befriedigung zu verschaffen, zum anderen der Freundes –
kreis der Kinder und Jugendlichen, wo sie unter Umständen sexuellen Übergriffen
3
16_05 / Sexualisierte Gewalt gegen Kinder bekämpfendurch andere Minderjährige ausgesetzt sein können. Dazu kommt der Bereich
des kommerziellen sexuellen Missbrauchs, der Kindesmissbrauchsdarstellung
(Kinderpornographie) und der Kinderprostitution, wobei hier nicht nur diejenigen
Kinder und Jugendlichen in den Blick zu nehmen sind, die in Österreich Opfer von
derartigen Verbrechen werden, sondern auch diejenigen, die im Ausland von öster –
reichischen „Sextouristen“ missbraucht werden. Auch hier fehlen valide Daten.
Grundsätzlich gilt, dass sexuelle Übergriffe in den
seltensten Fällen Einzeltaten darstellen, sondern auf Wiederholung angelegt sind.
Damit wächst nicht nur die Belastung für die Betroffenen – insbesondere innerhalb
des Familienverbandes –, es bedeutet weiters, dass auch andere Kinder zu Opfern
werden, solange die (meist) zwanghaft auf sexuelle Beziehungen mit Vorpubertä –
ren fixierten Täter_innen nicht ausfindig gemacht und in die Schranken gewiesen
werden können . Für die Opfer gilt, dass die Traumatisierung umso gravierender
ausfällt, desto auswegloser die Situation erlebt wird. Negativ verstärkend wirkt sich
außerdem eine emotionale Nähe zu der übergriffigen Person aus, weil die Kinder
und Jugendlichen dadurch in einen Loyalitätskonflikt getrieben werden, sich zu –
gleich daran gewöhnen, dass Liebe und Missbrauch zusammenhängen und dass
sie die Souveränität über ihren Körper aufgeben müssen, um Zuneigung zu be –
kommen bzw. überhaupt liebenswert zu sein.
Selbstverständlich leiden die Betroffenen auch unter
dem Druck zur Geheimhaltung, erleben sich selbst als ohnmächtig und hilflos.
Nichtsdestotrotz suchen die Kinder und Jugendlichen nach Auswegen, sei es, dass
sie das Erlebte explizit ansprechen – wobei das in der Regel erst nach mehreren
Anläufen gelingt –, sei es, dass sie bewusst oder unbewusst Signale senden, mit
denen sie auf ihr Leiden aufmerksam machen (wollen).
16_04.3 Optionenbeschreibung
16_04 .3.1 Beschreibung der Option
bzw. der zugehörigen Maßnahmen
bzw. Maßnahmenkombinationen
Ähnlich wie im Fall von Option 04 ist es im Kontext
der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche notwendig, verschiedene
Maßnahmen derart miteinander zu verknüpfen, dass tatsächlich stattfindende
sexualisierte Gewalt schnellstmöglich beendet wird, den Opfern umfassende Hilfe
zuteilwird und künftigen sexuellen Übergriffen effektiv entgegengewirkt wird.
Früherkennung fördern
Angesichts der Tatsache, dass sich sexueller Miss –
brauch von Minderjährigen in der Regel über lange Zeiträume erstreckt und
damit sowohl das akute Leiden als auch die zugefügten Schäden immer schlim –
mer werden, ist es entscheidend, dass das Umfeld der Kinder und Jugendlichen
bereits auf kleinste Zeichen reagiert. Damit eine solche Früherkennung gelingen
kann, müssen die Prozesse der Bewusstseins- und der Fortbildung entschieden
vorangetrieben werden und zwar vor allem im Hinblick auf jene Berufsgruppen und
Ehrenamtliche, die mit Kindern arbeiten ( Ärzt_innen, Pädagog_innen in Einrichtun –
gen der Fremdunterbringung, in Kindergärten und Schulen, in Freizeit und Sport).
Diese Personen müssen einerseits für die Thematik und insbesondere für den
Kinderrechteansatz sensibilisiert, andererseits im Umgang mit (Verdachts-) Fällen
geschult werden. Dabei ist ein Fokus auf die Frage nach der Traumatisierung zu
legen, die bereits in der Diagnostik, vor allem aber in der Therapie nach hochqua –
lifizierten Fachleuten verlangt, wobei hier explizit auch an die Gruppe der unbe –
4
Optionen und Maßnahmengleiteten minderjährigen Flüchtlinge zu denken ist, die auf ihrem langen Weg vom
Herkunftsland über diverse Auffanglager bis ins Gastland typischerweise schweren
Mehrfachtraumatisierungen ausgesetzt sind (Witt, Rassenhofer, Fegert & Ple –
ner, 2015). Neben den Maßnahmen zur Früherkennung ist es selbstverständlich
unerlässlich, die Angebote zur Hilfestellung und Beratung von Betroffenen weiter
auszubauen. Ein weiterer für die Früherkennung wesentlicher Aspekt ist ebenso
selbstredend die Datenerhebung, da nur auf diese Weise allen Beteiligten das Aus –
maß des Problems deutlich gemacht und erkannt werden kann, dass tatsächlich
Handlungsbedarf besteht. Konkret wäre für Österreich eine (Prävalenz-)Studie zur
Thematik der sexuellen Gewalt zu erstellen, damit über die Anzeigen- und Verurtei –
lungsstatistik hinaus ein umfassenderes Bild der Problematik gewonnen werden
kann.
Ausbau von Hilfsangeboten für betroffene Kinder
Genauso wenig wie Betroffene sexualisierte Gewalt
ohne fremde Hilfe (sehr häufig) überhaupt thematisieren, geschweige denn be –
enden können, wird es ihnen gelingen, sich allein von den Folgen zu erholen. Je
nach Phase der Gewalterfahrung bzw. der Aufarbeitung ist es daher nötig, dass
eine Vielzahl an kompetenten und miteinander gut vernetzten, kinderspezifischen
Beratungs- und Therapieangeboten zur Verfügung steht. Neben dem Jugendamt,
Kinderschutzzentren und anderen spezialisierten Beratungs- und Unterstützungs –
einrichtungen bzw. therapeutischen Einrichtungen ist es auch erforderlich, dass
Institutionen wie die Polizei oder das Gesundheitssystem (zumindest) für einen
Teil ihrer Mitarbeiter_innen einschlägige Schulungen veranstalten, damit betroffe –
ne Kinder, egal wo sie Hilfe suchen, diese auch tatsächlich erhalten. Diese Hilfe
besteht einerseits in der sofortigen Beendigung der Missbrauchssituation, anderer –
seits darin, im Dialog mit den betroffenen Kindern die für sie geeigneten (trauma)
therapeutischen Maßnahmen zu treffen. Damit dies geleistet werden kann, ist es
unumgänglich, die kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen Österreichs
mit ausreichenden Mitteln auszustatten, damit qualifizierte Traumatherapeut_innen
ausgebildet bzw. eingestellt werden können.
Spezifische Kinderschutzrichtlinien in allen Bereichen
der Gesellschaft etablieren
Für einen besseren Schutz von Minderjährigen gegen
sexuelle Gewalt, der sie u.U. während einer Fremdunterbringung sowie in Bil –
dungs- und Freizeiteinrichtungen ausgesetzt sind, ist die Erarbeitung von Kinder –
schutzrichtlinien bzw. deren ständige Adaptierung und Verbesserung notwendig.
Diese müssen ein klares Bekenntnis zur Gewaltfreiheit (insbesondere zum Schutz
gegenüber sexuellen Übergriffen) enthalten, weiters Kriterien zur Personalaus –
wahl (wie etwa ein erweitertes Führungszeugnis) und Richtlinien für ein geeignetes
Prozedere bei Verdachtsfällen. Ein wirkungsvolles Instrumentarium könnte darin
bestehen, die Ausschüttung öffentlicher Förderungen an das Vorhandensein und
die Umsetzung derartiger Kinderschutzrichtlinien zu knüpfen. Von dieser Maß –
nahme betroffen sind jedenfalls Kindergärten und Schulen sowie alle anderen
Einrichtungen, in denen sich Kinder aufhalten, wie Wohngemeinschaften, Pflege –
familien, Fahrtendienste für Kinder, Sport- und Musikvereine, Theatergruppen usw.
Außerdem braucht es eine Diskussion, wie Sexualpädagogik und der Umgang mit
Sexualität an Schulen zielgruppengerecht vermittelt werden kann.
Selbstbewusstsein von Kindern
und Jugendlichen stärken
Eine weitere zentrale Maßnahme ist die einschlägige
Schulung von Eltern und von Berufsgruppen bzw. ehrenamtlich t ätigen Personen,
5
16_05 / Sexualisierte Gewalt gegen Kinder bekämpfendie mit Kindern arbeiten. Die Fortbildungsprogramme sollen den Erwachsenen die
Kompetenz vermitteln, Kinder zeit- und altersgemäß aufzuklären sowie ihr Körper-
und Selbstbewusstsein zu stärken. Dies sind wichtige Instrumente der Prävention,
da ein selbstbewusstes Kind, das über sich und seinen Körper Bescheid weiß, bes –
ser erkennen und folglich auch benennen kann, wenn ihm bzw. ihr jemand zu nahe
kommt oder übergriffig wird. Eine altersgerechte Aufklärungs- und Körperarbeit
kann schon früh einsetzen, nämlich sobald ein Kind auf körperliche und seelische
Erlebnisse sprachlich Bezug nehmen kann. Dasselbe gilt für eine Hinführung zum
Unterschied zwischen guten und schlechten Geheimnissen und die Vermittlung
der Fähigkeit, Nein zu sagen bzw. Hilfe zu holen, wenn eine Situation als belas –
tend empfunden wird. Ein weiterer wichtiger Aspekt wäre – wie in Option 16.03
expliziert – die Stärkung der Medienkompetenz junger Menschen, insbesondere
im Umgang mit Sozialen Medien, bzw. die gemeinsame Erarbeitung von Themen
wie Respekt gegenüber eigenen/fremden Bildern, Datenschutz, Kinderschutz und
Formen der Internetkriminalität (Kolodej, 2011).
Kindesmissbrauchsdarstellungen (Kinder-
pornographie) und Kinderprostitution bekämpfen
Bei beiden Formen der sexualisierten Gewalt hat man
es einerseits mit Sexualstraftäter_innen zu tun, die systematisch nach Möglichkei –
ten und Orten suchen, Minderjährige sexuell auszubeuten oder aus ihrem Miss –
brauch wirtschaftlichen Profit zu ziehen, andererseits um sogenannte „Gelegen –
heitstäter_innen“, die beim Surfen im Internet oder am Zielort der Urlaubs- bzw.
Geschäftsreise sich ihnen bietende Gelegenheiten ausnützen, Kinder sexuell zu
missbrauchen bzw. zu Nutznießern von einem solchen Missbrauch zu werden.
Maßnahmen zur Bekämpfung von Kindesmissbrauchsdarstellungen (Kinderporno –
graphie) und Kinderprostitution müssen daher auf beide Täter_innengruppen ab –
zielen und neben einer rigiden Gesetzgebung und Strafverfolgung auch Initiativen
zur Aufklärung und therapeutischen Arbeit mit potentiellen Täter_innen umfassen.
16_04 .3.2 Erwartete Wirkungsweise
Die erwartete Wirkungsweise besteht darin, dass Er –
wachsene – unabhängig davon, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis sie
zu den betroffenen Kindern und Jugendlichen stehen – dazu befähigt werden, ihre
Verpflichtung zum Hinsehen und Einschreiten wahrzunehmen, wenn es darum
geht, Minderjährige vor sexueller Gewalt zu schützen: Indem ihnen einschlägiges
Wissen vermittelt wird, gelingt es ihnen besser, Gefährdungssituationen wahr –
zunehmen. Indem sie ihre Aufmerksamkeit schärfen, werden sie Signale des
Missbrauchs leichter erkennen. Indem sie sich aktiv mit der Thematik auseinan –
dersetzen, erwerben sie eine Offenheit, die es Kindern und Jugendlichen leichter
macht, sich ihnen anzuvertrauen. Und indem sie zum Handeln ermutigt werden,
bleiben sie nicht passive Beobachter, sondern organisieren Hilfe, erstatten An –
zeige etc. und durchbrechen damit den fatalen Kreislauf von Viktimisierung und
Ohnmacht. Für eine effektive Umsetzung der Option ist es außerdem unerlässlich,
dass präventive Arbeit mit Kindern und Jugendlichen stattfindet, sodass diese in
ihrem Selbstbewusstsein gestärkt und befähigt werden, im Rahmen ihrer Möglich –
keiten Widerstand zu leisten oder Vertrauenspersonen anzusprechen. Von der
therapeutischen Arbeit mit Betroffenen schließlich ist zu erwarten, dass einerseits
akutes Leid gelindert und andererseits ein Grundstein dafür gelegt wird, dass trotz
der Traumatisierung der Weg in ein selbstbestimmtes und intaktes Leben gelingen
kann. Zuletzt ist noch darauf hinzuweisen, dass selbstverständlich nicht nur – die
bereits angesprochenen – Erwachsenen, sondern auch Jugendliche durch ge –
6
Optionen und Maßnahmeneignete Sensibilisierungsmaßnahmen davor „bewahrt“ werden sollen, selbst zu
Täter_innen zu werden (Kettritz, 2014).
16_04 .3.3 Bisherige Erfahrungen mit dieser
Option oder ähnlichen Optionen
Der Kampf gegen Kindesmissbrauch steht seit langem
im Fokus der Strafverfolgungsbehörden. Zudem wurden hinsichtlich der Bewusst –
seinsbildung große Fortschritte gemacht. Dennoch lässt sich die konkrete Wirk –
kraft dieser Maßnahmen aufgrund der nach wie vor als hoch einzuschätzenden
Dunkelziffer bei Kindesmissbrauch nur schwer konkret angeben.
16_04 .3.4 Zeithorizont der Wirksamkeit
Die Option mit ihren Maßnahmen wirkt sowohl
−kurzfristig – insofern sexualisierte Gewalt schneller entdeckt und beendet wer –
den kann und dadurch weitere Verletzungen verhindert, akute Leiden gelindert
und die damit einhergehende Viktimisierung zumindest vorerst unterbrochen
werden können;
−mittelfristig – insofern Personen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten
bzw. zusammenleben, für die Thematik sensibilisiert werden und es ihnen in der
Folge leichter gelingt zu erkennen, wenn Minderjährige Opfer von sexueller Ge –
walt sind bzw. erste unsichere Versuche machen, sich einer Vertrauensperson
mitzuteilen;
−langfristig – insofern es gelingt, innerhalb der Gesellschaft ein Bewusstsein da –
für zu schaffen, dass jegliche Form von sexueller Übergriffigkeit auf Minderjähri –
ge massive Schäden für die Opfer bedeutet und dass sexuelle Vorlieben, die nur
auf solche Weise befriedigt werden können, weder in der Familie noch in einer
Einrichtung, weder im Inland noch im Ausland toleriert werden dürfen.
16_04 .3.5 Vergleich mit anderen Optionen,
mit denen das Ziel erreicht werden kann
Die Anliegen dieser Option werden auch von anderen
Optionen des SDG 16 thematisiert, insbesondere von Option 16.01, die auf den
umfassenden Schutz vulnerabler Gruppen vor – eben auch sexualisierter – Ge –
walt abzielt. Option 16.05 stellt demgegenüber eine Fokussierung dar, indem sie
speziell die Gefährdung der sexuellen Integrität von Kindern und Jugendlichen in
den Blick nimmt.
16_04.3.6 Interaktionen mit anderen Optionen
Interaktionen bestehen mit sämtlichen anderen Op –
tionen, die – im Kontext von SDG 16, aber auch von SDG 4, 5 und 10 – auf die
Wahrung der körperlichen und psychischen Integrität besonders der schwächsten
Mitglieder einer Gesellschaft hinwirken wollen.
7
16_05 / Sexualisierte Gewalt gegen Kinder bekämpfen16_04.3.7 Offene Fragestellungen
−Erhellen von Grauzonen
Der Mangel an validen Daten stellt in mehreren der SDG 16 zugeordneten Targets
ein gravierendes Problem dar. Im Zusammenhang mit der sexuellen Gewalt an
Kindern und Jugendlichen handelt es sich aber zugleich um ein Forschungsdesi –
derat, weil nämlich die Grauzonen derart undurchsichtig und schwer einzugrenzen
sind, dass jede einschlägige Forschung mit der Schwierigkeit konfrontiert ist, das
Ausmaß der Problematik nicht adäquat einschätzen zu können. Daher erscheinen
besonders die Forderung nach aussagekräftigen Studien zur Häufigkeit von se –
xualisierter Gewalt gegen Kinder und die daran anknüpfende Erarbeitung von bzw.
Adaptierung bestehender Kinderschutzrichtlinien von grundlegender Bedeutung.
−Gesellschaftliche Dimension des Themas in der Forschung abbilden
Sofern eine umfassende Datenerhebung stattgefunden hat bzw. man aufgrund von
Schätzungen zum Schluss gekommen ist, dass sexualisierte Gewalt gegen Minder –
jährige ein Thema von großer gesellschaftlicher Relevanz ist, wird auch deutlich,
dass die derzeitige geringe Präsenz der Thematik in der Forschung als solche ein
Problem darstellt. Nur wenn sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche als
Thema im wissenschaftlichen Mainstream verankert ist und umfassend interdiszi –
plinär beforscht wird, kann es gelingen, innerhalb der Gesellschaft ein Bewusst –
sein für die Dimension der Problematik zu schaffen.
8Literatur
Council of Europe (2007). Con –
vention on the Protection of Chil –
dren against Sexual Exploitation
and Sexual Abuse. https://www.
coe.int/en/web/children/lanzarote-
convention [24.11.2021].
Europäisches Parlament & Rat
der Europäischen Union (2011).
Richtlinie zur Bekämpfung des
sexuellen Missbrauchs und der
sexuellen Ausbeutung von Kin –
dern sowie der Kinderpornografie.
https://eur-lex.europa.eu/LexU –
riServ/LexUriServ.do?uri=CE -LEX:32011L0093:DE:HTML
[24.11.2021].
Kettritz, T. (2014). Grenzverlet –
zende Kinder und Jugendliche –
verletzte Menschen mit verletzten
Grenzen?! Traumapädagogische
Arbeit mit sexuell übergriffigen
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Mosser & H.-J. Lenz (Hrsg.), Se-
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Prävention und Intervention : Ein
Handbuch für die Praxis (S. 211-
261). Wiesbaden: Springer VS.
doi:10.1007/978-3-658-04071-0
Kolodej, Ch. (2011). Mobbing im Medienkontext. In P. Grimm &
H. Badura (Hrsg.), Medien – Ethik
– Gewalt: Neue Perspektiven
(Schriftreihe Medienethik, Bd. 10,
S. 93-100). Stuttgart: Franz Stei –
ner. ISBN: 978-3-515-09906-6.
Netzwerk Kinderrechte Öster –
reich (2019). Ergänzender Bericht
zum 5. und 6. Bericht der Republik
Österreich an die Vereinten Na –
tionen gemäß Artikel 44 Absatz
1 b des Übereinkommens über
die Rechte des Kindes. Wien.
https://www.kinderhabenrechte.
at/fileadmin/bilder/Bericht_DT.pdf [24.11.2021].
Witt, A., Rassenhofer, M.,
Fegert, J.M. & Plener, P.L. (2015).
Hilfebedarf und Hilfsangebote in
der Versorgung von unbegleite –
ten minderjährigen Flüchtlingen.
Kindheit und Entwicklung 24 (4),
209-224. doi:10.1026/0942-5403/
a000177

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