SDG_15_Option_15_09_pdf_20231119_182410.txt

Optionen
und
Maßnahmen
Österreichs Handlungsoptionen
zur Umsetzung
der UN-Agenda 2030
für eine lebenswerte Zukunft.
UniNEtZ –
Universitäten und Nachhaltige
Entwicklungsziele
Optionen und Maßnahmen1
15_09 / Neudenken des Naturschutzes15_09Autorinnen:
Ecker, Daniela ( Johannes-Kepler-Universität Linz, In –
stitut für Umweltrecht ); Wagner, Erika ( Johannes-Kep –
ler-Universität Linz, Institut für Umweltrecht )Neudenken des Naturschutzes
23 15_09 .1 Ziele der Option
3 15_09.2 Hintergrund der Option
6 15_09.3 Optionenbeschreibung
6 15_09.3.1 Beschreibung der Option bzw. der zugehörigen Maßnahmen
bzw. Maßnahmenkombinationen
9 15_09.3.2 Erwartete Wirkweise
10 15_09.3.3 Bisherige Erfahrungen mit dieser Option oder ähnlichen
10 15_09.3.4 Zeithorizont der Wirksamkeit
10 15_09.3.5 Vergleich mit anderen Optionen,
mit denen das Ziel erreicht werden kann
10 15_09.3.6 Interaktionen mit anderen Optionen
10 15_09.3.7 Offene Fragestellungen
10 LiteraturInhalt
Optionen und Maßnahmen315_09.1 Ziele der Option
Die Biodiversität und damit der Naturschutz stehen
unzertrennlich mit unserer menschlichen Existenz in direktem und indirektem
Zusammenhang. Auf den Punkt gebracht: Der Mensch ist auf funktionierende
Ökosysteme mittel- und langfristig angewiesen. Nachhaltige Entwicklung im Sinne
der Agenda 2030 und besonders von SDG 15 bedeutet daher, dass Verschlechte –
rungen im Naturhaushalt vermieden werden müssen, ökologische Verluste, wenn
möglich, wiederherzustellen sind und Möglichkeiten der Verbesserung des Natur –
schutzes wissenschaftlich zu erforschen und aufzugreifen sind.
Das derzeit geltende Naturschutzrecht beruht auf
Strukturen und Handlungsmaximen, die es zu hinterfragen gilt. Der Weg, Natur –
schutz neu zu denken, ist daher angezeigt.
15_09.2 Hintergrund der Option
Derzeit sind zahlreiche Defizite im
Naturschutzrecht zu orten:
Naturschutz auf europäischer Ebene
In den Mitgliedstaaten besteht eine unterschiedliche
Rechtspraxis in Zusammenhang mit den europäischen Biotopverbundnetzen. Trotz
des gemeinsamen Rechtsrahmens zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume so –
wie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, aber auch der wildlebenden Vogelarten
auf europäischer Ebene (FFH-RL1 und VSch-RL2), werden wesentliche Richtlinien –
bestimmungen in den Mitgliedstaaten unterschiedlich gehandhabt, was zum Teil
die Zielerreichung und den Rechtsgüterschutz konterkariert. So ist etwa für einen
effektiven Schutz die gebotene Ausweisung von Schutzgebieten Voraussetzung,
welche bislang (wegen zu lascher mitgliedstaatlicher Umsetzung) immer noch nicht
abgeschlossen ist.
Die FFH-RL und die VSch-RL sind darauf angelegt,
dass die Eingriffsermächtigung in die Schutzgebiete für Pläne und Projekte in
Form der Naturverträglichkeitsprüfung (kurz NVP) von den Mitgliedstaaten im
Sinne der Richtlinien angewandt wird (Interessensabwägung3). Der EuGH hat dazu
eine strenge Rsp entwickelt, zum Teil werden jedoch Umgehungen praktiziert.
1 Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume
sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl vom 22.7.1992 L 206, 7; zuletzt geändert durch
die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013, ABl vom 10.6.2013 L 158, 193.
2 Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009
über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, ABl vom 26.1.2010 L 20, 7; zuletzt geändert
durch die Verordnung (EU) 2019/1010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni
2019, ABl vom 25.6.2019 L 170, 115.
3 Die Anforderungen des Art 6 Abs 3 und 4 der FFH-RL an die NVP sind folgende: Nicht
unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehende oder hierfür nicht
notwendige Pläne/Projekte, die ein solches Gebiet einzeln oder in Zusammenwirkung mit
anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf
Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Dem Plan/Projekt darf
grundsätzlich nur zugestimmt werden, wenn festgestellt wurde, dass das Gebiet als solches
nicht beeinträchtigt wird. Ist trotz negativer Ergebnisse der NVP aus zwingenden Gründen des
überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher
Art ein Plan/Projekt durchzuführen und eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der
Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale
Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist (der Mitgliedstaat hat Kommission über die ergriffenen
Ausgleichsmaßnahmen zu unterrichten). Ist das betreffende Gebiet ein Gebiet, das einen
prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art einschließt, so können nur
Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit
bzw. mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt oder – nach Stellungnahme der
Kommission – andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend
gemacht werden.
15_09 / Neudenken des NaturschutzesNationales Naturschutzrecht
Auch das nationale Naturschutzrecht hat im Sinne der
Verbesserung der Biodiversität und des Artenschutzes noch Verbesserungspoten –
zial, wie im Folgenden dargelegt wird:
Da Naturschutz und Bodenschutz streng getrennt sind,
sind die negativen Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Natur nur ungenügend
geregelt bzw. gesetzlich kaum relevant. Das trifft insbesondere auf die Auswirkun –
gen des Pestizideinsatzes zu (Ecker, 2017), aber auch auf die für die Biodiversität
förderliche Belassung von Grünstreifen trotz landwirtschaftlicher Nutzung. Die
intensive Landwirtschaft (Düngung und bis zu fünfmalige Mahd mit schwerem
Gerät schadet bekanntermaßen der Natur, ist aber rechtlich im Naturschutzgesetz,
außer in Natura 2000 -Gebieten, unbedacht). Mit der intensiven Landwirtschaft ist
ein schwerwiegender Verlust der Biodiversität verbunden.
Das geltende Naturschutzrecht ist Ländersache und
daher von Land zu Land unterschiedlich geregelt. Das wesentliche Interesse der
Öffentlichkeit an Vorgängen, die unseren natürlichen Lebensraum betreffen, ist
allein auf NGOs kanalisiert und auch dort nur im Rahmen des sogenannten Beteili –
gung plus -Modells umgesetzt. D. h., dass für NGOs keine Parteistellung im Verfah –
ren besteht, sondern diese erst im Beschwerdeweg gegen erteilte Bewilligungen
die Landesverwaltungsgerichte anrufen können.
Die Parteistellung der Umweltanwaltschaften, die
die Umweltschutzvorschriften als subjektives Recht geltend machen können, ist
lediglich auf bestimmte naturschutzrechtliche Tatbestände beschränkt: So wurden
etwa in Oberösterreich dem Umweltanwalt im Zuge der Umsetzung der Aarhus-
Konvention4 die Parteistellung in Natura 2000 -Angelegenheiten genommen. Damit
ist das Schutzgut Natur in vielen wesentlichen Causen völlig unvertreten, da nicht
sichergestellt werden kann – dies auch vor dem Hintergrund der erforderlichen
Fachkenntnis – dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die für den Erhalt der
Natur sprechen, im Verfahren vertreten sind. Hier besteht eine massive Lücke im
oberösterreichischen  Naturschutzrecht, die vom Gesetzgeber bewusst gewollt war.
Dies steht in Widerspruch mit SDG 15.
Der Naturschutz ist außerdem lediglich auf die Wid –
mungskategorie Grünflächen bezogen. Nur im Grünland bedarf es daher (in den
meisten Naturschutzgesetzen) einer Bewilligungspflicht.
Artenschutz
Das Artenschutzrecht bewirkt – wie zahlreiche Be –
schwerden, etwa von Birdlife und dem Naturschutzbund bezüglich Kormoran,
Fischotter, Gänsesäger, Biber etc., zeigen – nicht den gewünschten gezielten
Schutz. Auffällig dabei ist auch, dass mit der zuteils erfolgten Abschaffung der Par –
teistellung der Umweltanwaltschaft bei Natura 2000 -Gebieten (so etwa in Ober ös-
terreich, siehe oben) die Problematik mehr denn je besteht, ohne dass sie offiziell
bei Verwaltungsgerichten zu Tage tritt.
Zudem ist das landesrechtliche Schutzsystem bezüg –
lich invasiver Arten derzeit äußerst unausgegoren und reibt sich an der Kompe –
tenzverteilung, wie insbesondere der Umstand zeigt, dass viele invasive Arten
zugleich allergierelevant (SDG 3) sind. Diesfalls könnte argumentiert werden, dass
der Allergiker_innenschutz als Materie des Gesundheitsschutzes dem Bund vor –
44 Übereinkommen von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Ö ffentlichkeitsbeteiligung
an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, BGBl III Nr
88/2005; näher dazu siehe Wagner, Bergthaler & Fasching (2018).
Optionen und Maßnahmenbehalten sei (so tatsächlich vom burgenländischen Verfassungsdienst im Rahmen
der Begutachtung des Ambrosia- bzw. Ragweed-Gesetzes erfolgt).
Naturschutz und Raumordnung
Problem der Raumordnung ist die fehlende Gesetzes –
technik der finalen Determinierung, die letztlich die fehlende Durchsetzbarkeit von
Raumordnungszielen bewirkt. Die Raumordnung trägt derzeit den Erfordernissen
des Naturschutzrechts nur ungenügend Rechnung (siehe Optionen 15_15 und
15_16). Zum Teil ist auch eine richtlinienwidrige Umsetzung zu verzeichnen. Dies
insbesondere im Bereich der strategischen Umweltprüfung, die auf bestimmte Tat –
bestände beschränkt ist, ohne dass die flexiblen Kriterien und damit die Notwen –
digkeit einer Einzelfalluntersuchung im nationalen Recht umgesetzt wären. Auch
fehlt es an einer Umsetzung der nach Art 10 der FFH-RL gebotenen Regelungen
in Bezug auf die Kohärenz von Natura 2000 -Gebieten. Das bedeutet also, dass in
Österreich rein ordnungstechnisch keine Verpflichtung besteht, Wanderkorridore
etc einzurichten bzw. den genetischen Austausch zwischen den Natura 2000 -Ge-
bieten zu ermöglichen.
Naturschutz und Kompetenzverteilung
Aus europäischer Sicht ist stets die Europäische
Gesetzgebung(sbefugnis) mitzudenken. Aus nationaler Sicht fällt der Kompetenz –
tatbestand Naturschutz nicht in den Zuständigkeitsbereich des Bundes, sondern
gemäß der Generalklausel des Art 15 B-VG5 hinsichtlich Gesetzgebung und Voll –
ziehung in die Kompetenz der Länder bzw. das damit in Zusammenhang stehende
Baurecht und Raumordnungsrecht gem äß Art 118 Abs 3 Z 9 B-VG in den eigenen
Wirkungsbereich der Gemeinden. Auf nationaler Ebene besteht von Verfassung
wegen durch die enge Verzahnung der Bundes- und Landeskompetenzen für
den_die entsprechend zuständige_n Gesetzgeber_in das Erfordernis zur Berück –
sichtigung auch jener Regelungen der anderen Gebietskörperschaft (Berücksichti –
gungsprinzip).
Eigenrechtlichkeit der Natur
Zum einen fehlt, wie oben erwähnt, dem/der Einzel –
nen ein Recht auf Durchsetzung des Erhalts der für das menschliche Leben not –
wendigen Lebensgrundlagen. Zum anderen sind diese Interessen auch als bloße
öffentliche Interessen nur ungenügend durchsetzbar. Ihr Vollzug leidet unter einer
nicht vorhersehbaren, von politischen Strömungen geprägten Interessenabwägung
und von fehlenden Rechtsschutzmöglichkeiten für die zum Vollzug berufenen
Umweltanwaltschaften. Einerseits wurde in der Vergangenheit die materielle Posi –
tion bewusst geschwächt, andererseits wurde die Rechtsdurchsetzung bewusst
beschränkt. Vor dem Hintergrund der drohenden Szenarien der Erderwärmung
sowie der Biodiversitätskrise und deren negativen Auswirkungen muss daher
konstatiert werden, dass das geltende materielle Recht sowie das Verfahrensrecht
dem Schutz der Umwelt ungenügend Rechnung tragen. Zu fordern ist daher der
Umstieg auf das Konzept der Eigenrechtlichkeit der Natur.
55 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl Nr 1/1930 idF BGBl I Nr 194/1999; zuletzt geändert
durch BGBl I Nr  57/2019.
15_09 / Neudenken des Naturschutzes15_09.3 Optionenbeschreibung
15_09 .3.1 Beschreibung der Option
bzw. der zugehörigen Maßnahmen
bzw. Maßnahmenkombinationen
−Europarechtskonforme Ausweisung von Natura 2000 -Gebieten
Es bedarf der europarechtskonformen Ausweisung von Natura 2000 -Ge-
bieten für natürliche Lebensräume sowie wildlebende Tiere, Pflanzen und
Vogelarten bzw . auch darüber hinaus. Zudem muss jedwede Umgehung der
gebotenen Interessensabwägung der NVP bei Eingriffen in die nach den
Richtlinien geschützten Rechtsgüter innerstaatlich und auf europäischer
Ebene unterbunden werden (Wagner & Ecker, 2019).
−Etablierung des Naturschutzes als Bundesrecht
Angesichts der oben festgestellten Wirkungsdefizite des Naturschutzrechts
ist ein einheitliches Naturschutzrecht zu fordern. Dass Naturschutz Länder –
sache ist, lässt sich – ob der Bedeutung des Biodiversitätsschutzes und des
Artenschutzes, der an Landesgrenzen nicht haltmacht – nicht mehr rechtfer –
tigen. Die Sicht des Bundesverfassungsgesetzgebers 1920 war wegen des
fehlenden Bewusstseins in Bezug auf die Bewahrung der menschlichen Le –
bensgrundlagen verkürzt, da der Naturschutz lediglich den Ländern zugewie –
sen wurde. Auch angesichts des Umstands, dass viele naturschutzrechtliche
Vorgaben aus dem Europarecht stammen, wäre (im flächenmäßig kleinen
Österreich) eine bundeseinheitliche Betrachtung sinnvoll. Ein entsprechen –
des Bundesgesetz hätte dann auch den Rahmen für die Berücksichtigung
der landwirtschaftlichen Nutzung den Ländern vorzugeben.
−Vollzug nach dem aktuellen und interdisziplinären Stand des Wissens und
Verfügbarmachung von einschlägigen Daten
Im Vollzug des Naturschutzrechts kommt dem naturwissenschaftlichen Sach –
verstand (Amtssachverständige) eine große Bedeutung zu. In dieser Hinsicht
ist allerdings zu konstatieren, dass der naturwissenschaftliche Erkennt –
nisstand in der Praxis oftmals kein dynamischer ist und nur die Erörterung
unterschiedlicher Sichtweisen zu fundierten Ergebnissen führt.
Fundierte rechtliche Entscheidungen (etwa im Naturschutzverfahren oder
UVP-Verfahren) müssen auf Basis aktueller naturwissenschaftlicher Daten
und interdisziplinären Fachwissens getroffen werden. Zudem sind diese
aktuellen naturwissenschaftlichen Daten für die Öffentlichkeit verfügbar zu
machen (Wagner & Ecker, 2019).
−Beteiligung iZm der naturschutzrechtlichen Interessenabwägung gewähr –
leisten
Die naturschutzrechtliche Interessenabwägung wird in Wahrheit lediglich
durch die Behörden und Sachverständigen vorgenommen, ohne dass es für
die Öffentlichkeit möglich wäre, sich einzubringen. Naturschutzrechtliche
Bewilligungsverfahren sind damit intransparent und werden allein durch na –
turschutzrechtliche Sachverständige dominiert. Die Mitwirkung von NGOs im
naturschutzrechtlichen Verfahren ist in allen Bundesländern auf den bloßen
Beteiligtenstatus im Sinne des § 8 AVG6 beschränkt. Parteistellung steht
ihnen nicht zu, lediglich das Recht auf Beschwerdeerhebung an die Verwal –
tungsgerichte. Dagegen hat in Oberösterreich die Umweltanwaltschaft keine
66 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl Nr 51/1991.
Optionen und MaßnahmenParteistellung mehr in Verfahren betreffend Natura 2000 -Gebiete. Damit sind
Teile der Öffentlichkeit, aber auch jene Institutionen, die die Rechte der Natur
als subjektive Rechte wahrzunehmen haben (Umweltanwaltschaft) in ihren
Möglichkeiten, Verschlechterungen der Biodiversität und des Artenschutzes
aufzuzeigen, beschränkt. Selbst die Standortgemeinde ist lediglich anzuhören.
Es ist naturschutzfachlich und juristisch nicht nachvollziehbar, warum gerade
im Naturschutz, der uns alle betrifft, eine derart restriktive Partizipationslinie
auf gesetzlicher Ebene verfolgt wird. Es muss sichergestellt sein, dass bei
der Interessensabwägung sämtliche Interessen an der Erhaltung der Natur
Berücksichtigung finden. Dazu bedarf es einer möglichst breiten Beteiligung
und Transparenz bei naturschutzrechtlichen Verfahren. All das spricht wie –
derum dafür, den Naturschutz von der Landesebene wegzubringen und auf
Bundesebene zu verankern (siehe dazu bereits oben).
−Anpassung der Raumordnungsgesetze – Sicherstellung der Beförderung
des Naturschutzes
Ausgehend von der derzeitigen Rechtslage (landesrechtliche Kompetenz),
aber auch vor dem Hintergrund einer möglicherweise zu schaffenden bun –
deseinheitlichen Kompetenz (Verfassungsänderung) müssen die Raumord –
nungsgesetze sicherstellen, dass Ziele und Inhalte des Naturschutzes durch
die Raumordnung befördert und keinesfalls konterkariert (wie es derzeit der
Fall ist) werden.
Die Erkenntnis, dass Raumordnungen und darauf beruhende Flächenwid –
mungen mit anderen materiengesetzlichen Zielen konfligieren, war bereits in
der Vergangenheit Gegenstand der einschlägigen Hochwasserschutzdebatte,
mit dem Ziel, dass die Raumordnungskonferenz eine Empfehlung herausgab,
an die sich ein Teil der Bundesländer tatsächlich hält (ein anderer Teil aber
nicht).
Beispiele für gesetzlich normierte Widmungsverbote
und -beschränkungen zur Sicherstellung des künftigen Freihaltens von Gefähr –
dungsflächen sind: § 21 Abs 1a OÖ ROG (Widmungsverbote in HQ30 und roten Ge –
fahrenzonen, in HQ100-Gebieten strenge Voraussetzungen für eine Baulandwid –
mung), § 15 Abs 3 Z 1 NÖ ROG (Widmungsverbot in HQ100-Gebieten), § 15 Abs 3
Z 3 NÖ ROG (Widmungsverbot für Flächen, die rutsch-, bruch-, steinschlag-, wild –
bach- oder lawinengefährdet sind), § 28 Abs 3 Z 2 Sbg ROG (Widmungsverbot im
Gefährdungsbereich von Hochwasser, Lawinen, Murengängen, Steinschlag oder
für Flächen, die für den Hochwasserabfluss und für Hochwasserrückhalteräume zu
erhalten sind), § 4 Abs 1 Z 1-4 Stmk Programm zur hochwassersicheren Entwick –
lung (Widmungsverbote für HQ100, rote Gefahrenzonen, blaue Vorhaltebereiche).
Darüber hinaus gibt es in den Raumordnungsgesetzen vereinzelt Nutzungsbe –
schränkungen oder -verbote im Grünland (insbesondere für Sondernutzungen im
Grünland z. B. Campingsplatz etc). Eine derartige Empfehlung ist jedoch ungenü –
gend. Freilich könnte dieses Mittel (Empfehlung der Raumordnungskonferenz im
Zusammenhang mit Natur- und Artenschutz) auch im gegenständlichen Zusam –
menhang genutzt werden. Die Effektivitätsgewinne werden aber nur als gering
eingestuft.
Das Prinzip der finalen Determinierung in der Raum –
planung führt dazu, dass sich engagierte Ziele aufgrund der Zersplitterung im
Gemeindebereich in den Flächenwidmungen nicht wiederfinden. So werden zwar
FFH-Gebiete ausgewiesen, aber es fehlt an Wanderkorridoren und Möglichkeiten
des genetischen Austauschs in Bezug auf geschützte Arten etc. Der Vernetzung
der bestehenden Biotopverbundnetze in Österreich bzw. Europa (Stichwort Ko-
7
15_09 / Neudenken des Naturschutzeshärenz ) zur Vermehrung und somit Verbesserung der Arten ist bislang zu wenig
Beachtung geschenkt worden. Dazu zählen insbesondere die zwischen Schutzge –
bieten befindlichen, für Arten und natürliche Ressourcen notwendigen Gebiete, die
als Rastplätze, Wanderkorridore, Brutplätze etc. genutzt werden. In Österreich sind
solche Gebietszüge rechtlich kaum geschützt und obliegen Großteils dem good-
will der Landespolitik. Beispiel: Zwischen Schutzgebiet A (in Gemeinde A) und
Schutzgebiet B (in Gemeinde B) befinden sich landwirtschaftlich intensiv genutzte
Flächen der Gemeinde C, die nach der derzeitigen Rechtslage keinen Anlass hat,
hier einen Wanderkorridor etc einzurichten. Es bedarf daher der Erlassung eines
Rechtsrahmens für Flächenwidmungen, der dem Kohärenzgesichtspunkt Rech –
nung trägt (Wagner & Ecker, o. J.).
Die Raumordnung als eine der praktisch wichtigsten
Rechtsmaterien überhaupt muss an die neuen Herausforderungen des 21. Jahr –
hunderts angepasst werden – die Welt hat sich seither mehr als weiterentwickelt.
Es sind andere Aspekte, so z. B. der Biodiversitätsschutz, der qualitative und
quantitative Bodenschutz, die Entwicklung unserer Natur- und Kulturlandschaft,
aber auch der Klimaschutz in den Vordergrund gerückt, sodass zeitgemäße, raum –
planerische Antworten einzufordern sind (siehe auch Optionen 15_15 und 15_16)7.
Abgesehen von der Frage, wie die Raumordnung im
Rahmen des Bundesstaats letztlich ausgestaltet sein wird, also ob es bei der von
Land zu Land unterschiedlichen Konzeption bleibt, soll die Raumordnung jeden –
falls einen Zielkatalog aufweisen, der folgende Punkte enthält: Sicherung einer
nachhaltigen Entwicklung, wildökologische und landschaftsökologische Raumpla –
nung, Landschaftspflege und Landschaftsentwicklung, Klimaneutralität, Klima –
anpassung und Klimavorsorge, Eindämmung von Zersiedelung und Flächenver –
brauch sowie verbindlichere Planungsvorgaben. Die konkreten Maßnahmen und
Instrumente, mit denen diese Ziele umgesetzt werden, müssen in bürger_innenna –
hen, transparenten und überprüfbaren Verfahren getroffen werden. Dazu bedarf es
einer rechtskonformen Umsetzung der Richtlinie über strategische Umweltprüfung8
(SUP-Richtlinie), was in vielen Landesgesetzen nicht der Fall ist.
Ein weiteres Defizit der Raumordnung ist die schwa –
che Verbindlichkeit der überörtlichen Raumplanung. Die planerischen Vorgaben
müssen mehr als bisher auf Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Klimaschutz aus –
gerichtet sein. Diesem Ziel verschreibt sich die SUP-Richtlinie, die – wie bereits
betont – in vielen Bundesländern unzureichend umgesetzt wurde, aber auch
Lücken ihrerseits aufweist. Diese Lücken sind aber nicht derart zu verstehen, dass
die Mitgliedstaaten in SUP-freien Planungsbereichen die Ziele der Umwelt- und
Klimavorsorge außer Acht lassen könnten. Vielmehr zeigen zahlreiche Kommis –
sionsdokumente bzw. Programme der Europäischen Union (EU) ( Green Deal 9 und
Biodiversitätsstrategie10 der EU) auf, dass das Leitprinzip der nachhaltigen Ent –
wicklung im Rahmen der Raumordnung nicht außer Acht gelassen werden darf, ja
vielmehr die Raumordnung ein Instrument ist, das auf fast allen Bereichen der 17
87 Vgl. Stellungnahme der ober österreichischen. Umweltanwaltschaft zur ober österreichischen.
Raumordnungsgesetz-Novelle 2020, https://www.land-oberoesterreich.gv.at/Mediendateien/LK/
BeilageUmweltanwaltschaft280420.pdf (Stand 9.3.2021).
8 Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die
Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, ABl L 197 vom 21.7.2001,
30-37
9 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat,
den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Der
europäische Grüne Deal, COM/2019/640 final.
10 Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen
Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, EU-Biodiversitätsstrategie
für 2030, COM/2020/380 final.
Optionen und MaßnahmenSDGs der Nachhaltigkeit zum Durchbruch verhilft. So enthält etwa die Biodiversi –
tätsstrategie der EU das bereits oben als gravierendes Defizit der österreichischen
Raumplanung geortete Prinzip der Kohärenz zwischen geschützten Lebensräumen.
Die Biodiversitätsstrategie hebt dieses Konzept hervor, obwohl kaum ein Bundes –
land in Österreich bei seiner Raumordnung in Hinblick auf dieses zwingende natur –
schutzrechtliche Erfordernis dieses Konzept mitbedenkt.
−Verankerung der Eigenrechte bzw. Rechtspersönlichkeit der Natur bzw. ge –
wisser Naturgüter
Das Konzept der Eigenrechtlichkeit der Natur gehört schnellstmöglich auf
normativer Ebene konzipiert, da die Zerstörung der Biodiversität massiv vo –
ranschreitet11: Dies zeigt, dass die bisherigen Schutzkonzepte, die auf einer
Wahrnehmung ökologischer Interessen behördlicherseits bestehen, das
Rechtsgut Biodiversität nicht ausreichend schützen.
Sowohl in materiell-rechtlicher als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht be –
darf es eines Umdenkens des Schutzkonzepts im Sinne einer zu gewähren –
den Eigenrechtlichkeit, die in manchen anderen Staaten der Welt wie etwa in
den USA, Neuseeland und Südamerika bereits besteht oder im Vordringen
ist. Derzeit wird am Institut für Umweltrecht der Johannes-Kepler-Universi –
tät an einem umfassenden legistischen Vorschlag für die Erarbeitung eines
Eigenrechtlichkeitskonzepts gearbeitet. Es enthält sowohl auf verfassungs –
rechtlicher Ebene und einfachgesetzlicher Bundesebene (bzw. Bundesrah –
menebene, Bundesgrundsatzebene sowie Landesausführungsebene) die
entsprechenden Bestimmungen.
−Einführung einer Natur- und Klimaprüfung der Rechtsakte
Die bisherigen Folgenabschätzungen erweisen sich als zahnlos. Es gilt da –
her, schon im Entstehungsprozess sämtlicher Rechtsakte alle offenen, aber
auch (vermeintlich) versteckten negativen Konsequenzen für die Natur sowie
das Klima aufzudecken bzw. transparent offen zu legen und diese bereits in
einem so frühen Stadium durch umwelt- bzw. klimafreundliche Lösungen zu
ersetzen.
Es bedarf daher der Einführung einer verpflichtenden Prüfung sämtlicher
Rechtsakte auf Natur- und Klimaverträglichkeit vor ihrem Erlass. Eine der –
artige Prüfung hat einer unabhängigen externen Kontrolle durch die Wissen –
schaft Stand zu halten. Ein Erlass des Gesetzes soll erst bei positivem Er –
gebnis möglich sein. Wenn jedes neu erlassene Gesetz bzw. jede Änderung
eines Gesetzes einem standardisierten Natur- und Klimacheck-Verfahren
unterworfen wird, können Potenziale ausgeschöpft werden (vgl. etwa die
Kritik des Rechnungshofes zum bisherigen Ablauf der strategischen Umwelt –
prüfung – Verkehr, 2018/33; gerade die Alternativenprüfung in Hinblick auf in
die Natur weniger einschneidende Trassenvarianten ist in der Vergangenheit
bereits in ihrer Ausgestaltung de lege lata , als auch in ihrer Durchführung in
der Praxis zu kurz gekommen).
15_09 .3.2 Erwartete Wirkweise
Durch die vorgeschlagenen Änderungen wird dem
besorgniserregenden Verlust von Biodiversität und Arten entgegengewirkt. Ziel ist
eine Verlangsamung der negativen Entwicklung bzw. das Stoppen derselben.
911 Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen
Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, EU-Biodiversitätsstrategie
für 2030, COM/2020/380 final.
15_09 / Neudenken des Naturschutzes15_09 .3.3 Bisherige Erfahrungen mit dieser
Option oder ähnlichen Optionen
Maßnahmen im Naturschutz, und demnach die bis –
herigen ernsthaften Bemühungen um Naturgüter, sei es durch die Einrichtung von
Nationalparks oder die Einrichtung von Renaturierungsmaßnahmen oder die Eta –
blierung von Natura 2000 -Gebieten oder ähnliche Maßnahmen, zeigen, dass Biodi –
versitätsverluste durch Schutzmaßnahmen wieder ausgeglichen werden können.
15_09 .3.4 Zeithorizont der Wirksamkeit
Eine Verbesserung des Naturschutzes im Sinne dieser
Option zeitigt sowohl kurz- als auch mittel- und langfristige Wirkungen.
15_09 .3.5 Vergleich mit anderen Optionen,
mit denen das Ziel erreicht werden kann
Ein Neudenken des Naturschutzes ist höchst an der
Zeit. Die Fortschreibung des bisherigen Status quo kann keine Trendumkehr des
dramatischen Biodiversitätsverlusts und Artensterbens bewirken. Alternativ zu
ordnungspolitischen (legistischen) Zugängen sind marktwirtschaftliche Regelungs –
mechanismen. Diese haben jedoch bisher keine ausreichend starken Wirkungen in
Bezug auf die Erhaltung der Biodiversität entfaltet, vor allem in Bezug auf Lang –
zeitwirkungen von Biodiversitätsschutz (Alvarado Quesada, Hein & Weikard, 2014).
15_09.3.6 Interaktionen mit anderen Optionen
Höchste Interaktionen sind gegeben mit landwirt –
schaftlichen Zielsetzungen des SDG 2 (Umbau der Landwirtschaft in Biolandwirt –
schaft), SDG 3 (verbesserte Gesundheit), SDG 7 (Erfordernis der Infrastruktur
muss den naturschutzrechtlichen Vorgaben Rechnung tragen), SDG 11 (vor dem
Hintergrund des Naturschutzes ist auch dieses SDG betroffen – Naturschutz und
nachhaltige Städte ergänzen sich) und SDG 13 (Verbesserungen bei Biodiversität,
Schutz der Pflanzen und des Waldes, Flächenverbrauch, Wasser).
15_09.3.7 Offene Forschungsfragen
Offene Forschungsfragen wurden im Fließtext
bereits aufgeworfen.
10Literatur
Alvarado Quesada, I., Hein,
L. G. & Weikard, H. P. (2014).
Market-based mechanisms for
biodiversity conservation: A
review of existing schemes and an
outline for a global mechanism .
23, 1–21. https://doi.org/10.1007/
s10531-013-0598-x
Ecker, D. (2017). Pestizid –
rückstände in Lebensmitteln
und Trinkwasser — Rechtliche
Rahmenbedingungen (1. Aufl.).
Trauner Verlag.
Wagner, E. & Ecker, D. (o. J.).
Kohärenz in Zusammenhang mit
der FFH-RL und der nationalen Raumordnung .
Wagner, E. M., Bergthaler, W.
& Fasching, S. (2018). Umsetzung
der Aarhus-Konvention in Um –
weltverfahren (1. Aufl.). Trauner
Verlag.
Wagner, E. M. & Ecker, D.
(2019). Naturverträglichkeits –
prüfung — Systematische Auf –
arbeitung der Prüfung nach Art 6
der FFH-RL . Wien: Jan Sramek
Verlag KG.

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