SDG_11_Option_11_11_pdf_20231119_182401.txt

Optionen
und
Maßnahmen
Österreichs Handlungsoptionen
zur Umsetzung
der UN-Agenda 2030
für eine lebenswerte Zukunft.
UniNEtZ –
Universitäten und Nachhaltige
Entwicklungsziele
Optionen und Maßnahmen1
11_11 / Beschreibung der Option „Common Space: Quartiersorientierte Alltagsökonomie und
Ko-Produktion inklusiver Grünräume“11_11
Target 11.3 und 11.7Autor_innen:
Exner, Andreas ( Universität Graz ); Kozina, Chris –
tian ( Universität Graz ); Strüver, Anke ( Universität
Graz )
Reviewer_innen:
Frey, Iris ( Convive* Wien );
Novy, Andreas ( Wirtschaftsuniversität Wien )Beschreibung der Option „Common Space:
Quartiersorientierte Alltagsökonomie und
Ko-Produktion inklusiver Grünräume“
2
3 11_11 .1 Ziele der Option
4 11_11.2 Hintergrund der Option
5 11_11.3 Optionenbeschreibung
5 11_11.3.1 Beschreibung der Option bzw. der zugehörigen Maßnahmen
bzw. Maßnahmenkombinationen
10 11_11.3.2 Erwartete Wirkweise
11 11_11.3.3 Bisherige Erfahrungen mit dieser Option oder ähnlichen
12 11_11.3.4 Zeithorizont der Wirksamkeit
12 11_11.3.5 Vergleich mit anderen Optionen,
mit denen das Ziel erreicht werden kann
12 11_11.3.6 Interaktionen mit anderen Optionen
12 11_11.3.7 Offene Forschungsfragen
13 LiteraturInhalt
Optionen und Maßnahmen11_11.1 Ziele der Option
Die Option Common Space zielt auf die Stärkung der
Alltagsökonomie und eine darin integrierte Ko-Produktion inklusiver Grünräume.
Unter Alltagsökonomie sind jene sozialen Praktiken zu verstehen, die sich am
Gebrauchswert von Räumen, Gütern und Dienstleistungen orientieren (Exner &
Strüver, i. E; Gibson-Graham, 2008; Bärnthaler, Kroismayr, Novy, Plank & Strick –
ner, 2019). Die Alltagsökonomie umfasst die Nahversorgung mit den Gütern und
Diensten des täglichen Bedarfs, die Daseinsvorsorge, die wir als öffentliche sozial-
ökologische Infrastrukturen fassen, der Sorge- bzw. Reproduktionsökonomie sowie
die gebrauchswertorientierte Dimension der Erwerbsarbeit. Darunter ist bezahlte
Arbeit zu verstehen, die nicht ausgeübt wird, um einen finanziellen Gewinn zu er –
zielen, sondern um die Lebenserhaltungskosten zu decken (das heißt – in Fach –
begriffen ausgedrückt – um die Reproduktion des Lebens aufrecht zu erhalten).
Eine gut funktionierende Alltagsökonomie ist die Basis einer hohen Lebensqualität
und Krisenresilienz urbaner Räume. Die am Gebrauchswert orientierten Praktiken
der Alltagsökonomie bilden einen Common Space des Gemeinschaftlichen, des
Gewöhnlichen und Gewohnten. In diesem Common Space verschränken sich die
sozialen und räumlichen Dimensionen ebenso vielfältiger wie routiniert Lebensvoll –
züge zu einem alltagspraktischen, sozial-räumlichen Beziehungsgeflecht. Die –
ses Beziehungsgeflecht verdichtet sich an bestimmten Orten wie beispielsweise
den Orten der Nahversorgung, aber auch im Rahmen der sozial-ökologischen
Infrastrukturen öffentlicher Plätze und Grünräume. Unter einem Quartier ist ein
unscharf abzugrenzendes Gebiet solcher Verdichtungen zu verstehen, das heißt
ein Einzugsgebiet alltagsökonomischer Praktiken, die die Orte der Produktion mit
denen des Konsums von Lebensmitteln im erweiterten Sinn all jener Güter und
Dienste, die für die Reproduktion des Lebens notwendig sind, die Orte der Fürsor –
ge, der Pflege sozialer Beziehungen und des Begegnens mit anderen Menschen
wie mit urbaner Natur lebendig verflechten.
Die Herstellung von Grünräumen, welche vielfälti –
gen Nutzungsansprüchen sozial inklusiv gerecht werden, ist Teil einer solchen
Alltagsökonomie des Common Space , geht aber auch darüber hinaus, indem die
lebenswichtigen Beiträge, die Bedürfnisse und der Eigensinn nicht-menschlicher
Organismen mitberücksichtigt werden. Der Aspekt der Ko-Produktion von Grün –
räumen umfasst daher nicht allein die Zusammenarbeit zwischen den Bewoh –
ner_innen eines Quartiers, öffentlichen Körperschaften und zivilgesellschaftlichen
Organisationen, sondern spricht auch ein Bewusstsein des dabei unerlässlichen
Zusammenwirkens von Menschen, Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen an. Der
Common Space , den die Option adressiert, ist deshalb auch ein Lebensraum im
weiteren Sinn, das heißt nicht allein für den Menschen, sondern eine Vielfalt an
Lebewesen, die urbane Lebensqualität mit ausmachen. Die Option fokussiert sich
bewusst auf diesen Aspekt der Alltagsökonomie. Sie bezieht sich deshalb weniger
auf die Orte der Produktion und der Erwerbsarbeit zum Zwecke der Reproduktion
des Lebens.
Die Option verfolgt damit zwei übergeordnete Ziel –
setzungen. Zum einen bietet die Maßstabsebene des Quartiers einen zentralen
Ansatzpunkt für urbane Politiken der Nachhaltigkeit, die zunächst einmal die dort
vorrangig verorteten menschlichen Bedürfnisse nach konkreten Gebrauchswerten
in den Blick nehmen und das damit verknüpfte Alltagsleben mit seinen Routinen
ansprechen bzw. verändern müssen. Zum anderen soll Stadt als ein Mensch und
Natur übergreifender Lebensraum angesprochen werden, der vielfältige Bezie –
3
11_11 / Beschreibung der Option „Common Space: Quartiersorientierte Alltagsökonomie und
Ko-Produktion inklusiver Grünräume“hungen zwischen Menschen und nicht-menschlichen Lebewesen voraussetzt und
ermöglicht, und als solcher politisch nachhaltig gestaltet werden soll.
Der Fokus auf die Alltagsökonomie und die Ko-Pro –
duktion öffentlicher Grünräume soll soziale Inklusion, Politiken und Strukturen der
Teilhabe, sowie die Integration vielfältiger Aspekte der Stadtentwicklung fördern
und dazu beitragen, der Multifunktionalität urbaner Räume im Sinne ökonomischer,
ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit besser gerecht zu werden.
11_11.2 Hintergrund der Option
Die Option Common Space reagiert auf die in vielen
Städten zu beobachtende Tendenz, die sozial-räumliche Entwicklung zusehends
am Tauschwert, das heißt an der kommerziellen und profitorientierten Produktion
von Räumen, Gütern und Dienstleistungen auszurichten. Dabei nehmen die ge –
sellschaftliche Konstruktion, rechtliche Kodifizierung und ökonomische Verwertung
von Boden als eine fiktive Ware (Polanyi, 1997) einen besonderen Stellenwert ein.
Anstelle der konkreten, vielfältigen, situativen und lokal verorteten Bedürfnisse
der Bewohner_innen und einer nicht-menschlichen urbanen Lebenswelt wird das
Interesse an der Akkumulation von Kapital und einer weitgehenden kybernetischen
Steuerung von Stadt Ausgangspunkt von Stadtentwicklung und ihr erstes Ziel. Die –
se Ausrichtung führt dazu, die Perspektive von Stadtentwicklung auf spezifische
Interessen und Rationalitäten zu verengen. Sie berücksichtigt viele soziale und
ökologische Aspekte nicht, und erweist sich daher als wenig resilient.
Diese Form der Entwicklung einer gewissermaßen
unternehmerischen Stadt (die politisch wie ein einzelnes Unternehmen agiert)
(Harvey, 1989) erfolgt zum großen Teil unter dem Gesichtspunkt der systemischen
Konkurrenzfähigkeit (vor allem in Hinblick auf andere Städte als Städtewettbewerb),
die in vielen Fällen sozialen und ökologischen Zielsetzungen übergeordnet zu
werden droht. Dieser Gesichtspunkt richtet die Aufmerksamkeit und eine spezifisch
interpretierte Nachhaltigkeit unter anderem auf internationale Rankings hin aus,
die den Wettbewerbscharakter der unternehmerischen Stadt ebenso reflektieren
wie ihrerseits fördern. Die Nachhaltigkeitspolitiken der unternehmerischen Stadt
vertrauen in der Regel stark auf technische Lösungsansätze und werden oft von
Imagekampagnen flankiert. Dieses technologisch unterlegte impression manage –
ment ist mit den Profitinteressen großer Konzerne eng verbunden, die mehr an
quantitativem Wachstum interessiert sind als an einer glokal nachhaltigen Entwick –
lung.
Im Rahmen dieser nicht-nachhaltigen Nachhaltigkeits –
konzeption wird Stadtentwicklung vor allem im Kontext des Weltmarkts gedacht, wobei
die Branchen Tourismus, Hochtechnologien und unternehmensbezogene Dienstleis –
tungen häufig im Fokus stehen. Das Alltagsleben, die dafür nötigen Gebrauchswerte
und öffentlichen, sozial-ökologischen Infrastrukturen sowie die für das Alltagsleben
konstitutiven sozialen Beziehungen geraten damit aus dem Blick. In der Folge ver –
schiebt sich auch das Verständnis von Nachhaltigkeit. Nicht die gewöhnliche, gewohn –
te Alltäglichkeit der gelebten Common Spaces , selbstgewählte Gemeinschaftlichkeit
und das Gemeinsame stehen dann im Mittelpunkt politischer Gestaltung, sondern die
außergewöhnliche, individualisierte und quantitativ messbare Leistung, die beständige
soziale Anpassung und eine scheinbar grenzenlose Flexibilisierung verlangt. Quali –
tative Sensibilitäten werden zugunsten quantitativer Metriken in den Hintergrund ge –
drängt: So werden in vielen Fällen anstelle offener Dialoge geschlossene Programme
bevorzugt, die nicht alle Gruppen im Quartier mit einbeziehen.
4
Optionen und MaßnahmenDiese Konzeption einer nicht-nachhaltigen Nachhaltig –
keit prägt zudem das Verhältnis zu den Komponenten von Natur in der Stadt. Ve –
getation, Tierwelt und Bodenleben werden entweder nicht als Teil urbanen Lebens
wahrgenommen und berücksichtigt, oder vorrangig als Funktion des Städtewett –
bewerbs und der touristischen Anziehungskraft eines urbanen Wirtschaftsstand –
orts, oder aber ausschließlich als Mittel zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse
interpretiert.
Damit trägt die unternehmerische Stadtentwicklung
nicht nur zu einem problematischen, instrumentellen Naturverhältnis bei, sondern
vernachlässigt auch einen zentralen Ansatzpunkt für eine Reihe urbaner Politiken
der Nachhaltigkeit: der Alltagsökonomie auf der Ebene des Quartiers. Anders als
ein übermäßiges Vertrauen in technologische Lösungsansätze suggeriert, befinden
sich die wesentlichen Möglichkeiten für eine nachhaltigere Gestaltung von Stadt
nämlich auf der Ebene der alltäglichen Routinen von Menschen, ihrer alltagsprak –
tischen sozial-räumlichen Beziehungsgeflechte. Dort werden die Leitvorstellungen
eines guten Lebens geprägt oder hinterfragt, die stark beeinflussen, was politisch
als machbar gilt, das heißt welche Legitimität Politiken der Nachhaltigkeit bean –
spruchen können; schließlich werden dort auch jene Gewohnheiten reproduziert
oder verändert, die als nachhaltige oder nicht-nachhaltige Formen des Lebens in
der Stadt und ihrer Entwicklung zum Ausdruck kommen.
Die Option Common Spaces regt dazu an, mehr Auf –
merksamkeit den Infrastrukturen des täglichen Lebens und seinen konkreten Be –
dürfnissen zu widmen. Dabei spielen sozial-räumliche Nahebeziehungen und -ver –
hältnisse eine herausragende Rolle, gerade in Hinblick auf Nachhaltigkeit. Weiters
beinhaltet die Option eine Einhegung und einen Abbau der Finanzialisierung von
Wohnraum, um den Zugang zu leistbarem und hochqualitativem Wohnraum für alle
zu gewährleisten (siehe auch Option 11_1). Darüber hinaus ist die Option mit einem
aktiven Rückbau des motorisierten Individualverkehrs zu verknüpfen. Die grund –
legende Ausrichtung der Option auf die Förderung der Alltagsökonomie ist mit
erheblichen Widerständen konfrontiert, die sich aus dem Leitbild der unternehmeri –
schen Stadt und den damit verbundenen ökonomischen und politischen Interessen
ergeben, die häufig sehr einflussreich sind.
Ein lebenswertes Quartier mit einer guten Nahver –
sorgung und einer funktionierenden sozial-ökologischen Infrastruktur schafft die
Voraussetzungen für einen Umstieg auf aktive Mobilität und öffentliche Verkehrs –
mittel, erleichtert die Sorge ökonomie im Haushalt und reduziert insgesamt den
motorisierten Individualverkehr, da Menschen ihre alltäglichen Bedürfnisse in ihrer
unmittelbaren Umgebung befriedigen können. Die sozial-ökologische Infrastruktur
im Sinne der Alltagsökonomie beinhaltet Wohnraum, Abwasser- und Abfallbeseiti –
gung, Wasserversorgung und Energiebereitstellung, Grünräume, Medien der Tele –
kommunikation, Freizeit- und Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser, Arztpraxen
und Feuerwehren; im weiteren Sinn auch die öffentlichen Räume im Allgemeinen.
Die Nahversorgung umfasst dagegen die rasch erreichbaren Geschäftslokale des
essenziellen Bedarfs, vor allem der Nahrungsmittel, aber auch jene Unternehmen,
die unverzichtbare Dienste leisten, beispielsweise Reparaturen an Heizungs –
geräten und Installationen, die Finanzdienstleister_innen und Postämter. Dazu
zählen im Weiteren auch die entstehenden Formen Solidarischer Ökonomien wie
beispielsweise Genossenschaften, food coops oder Lastenradgruppen, die ein
besonderes Potenzial zur Ökologisierung des städtischen Raums aufweisen. Zur
Alltagsökonomie gehört jedoch auch die vielgestaltige Subsistenz der Haushal –
te, die vom Kochen und Putzen über die Sorge für Kinder und ältere Menschen
5
11_11 / Beschreibung der Option „Common Space: Quartiersorientierte Alltagsökonomie und
Ko-Produktion inklusiver Grünräume“sowie Kranke bis hin zur Pflege von Nachbarschaften und Freundschaften reicht.
Schließlich zählt auch die an der Reproduktion des Lebens orientierte Erwerbs –
arbeit dazu. Die Option Common Space fokussiert in diesem Zusammenhang auf
drei spezifische Komponenten der Alltagsökonomie: Nahversorgung, sozial-öko –
logische Infrastrukturen (in die wir die Daseinsvorsorge einbeziehen) und Sorge –
ökonomie der Haushalte. Die Option unterstreicht, dass diese Komponenten im
sozialen und räumlichen Zusammenhang zu betrachten sind.
11_11.3 Optionenbeschreibung
11_11 .3.1 Beschreibung der Option
bzw. der zugehörigen Maßnahmen
bzw. Maßnahmenkombinationen
Die Option Common Space umfasst ein breites Spek –
trum möglicher konkreter Maßnahmen. Die erste Beispielmaßnahme besteht darin,
die Alltagsökonomie von Quartieren, vor allem die Nahversorgung, zu erfassen.
Dies ergibt die Wissensbasis für die partizipative Verbesserung der Alltagsökono –
mie. Die zweite Beispielmaßnahme beinhaltet den Aufbau lokaler Entscheidungs –
strukturen, um die Alltagsökonomie weiterzuentwickeln. Daran schließt die dritte
Beispielmaßnahme an, die darin besteht, die Lebensmittelversorgung im Quar –
tier als essenziellen Teil der Alltagsökonomie konkret zu verbessern. Die vierte
Beispielmaßnahme bezieht sich darauf, den öffentlichen Grünraum inklusiver zu
gestalten.
Je nach Maßnahme unterscheiden sich potenzielle
Konflikte und Systemwiderstände sowie Barrieren, das Transformationspotenzial
und die Umsetzungsanforderungen. Aus diesem Spektrum seien die folgenden ex –
emplarisch hervorgehoben, die Wissensbasis, Entscheidungsstruktur und Raum –
gestaltung in den Bereichen der Lebensmittelversorgung und der Ausstattung
mit sozial inklusiven Grünräumen betreffen. Die Option braucht eine spezifische
Wissensbasis, die entsprechende Maßnahmen erfordert, um Informationen zu
gewinnen und auszuwerten, und Schlussfolgerungen mit Blick auf eine quartiers –
orientierte Alltagsökonomie und die Ko-Produktion sozial inklusiver Grünräume
zu ziehen. Diese Wissensbasis zu schaffen ist nur zum Teil ein konventioneller
Prozess wissenschaftlicher Forschung, und beinhaltet einen erheblich weiterge –
henden transdisziplinären Prozess des offenen Dialogs verschiedener Akteur_in –
nen und Bewohner_innen eines Quartiers. Dabei kann die Option Common Space
allerdings nicht stehenbleiben. Gerade die Umsetzung der auf Grundlage einer
dialogisch erarbeiteten Wissensbasis möglichen alltagspraktischen Maßnahmen
benötigt auch geeignete Entscheidungsstrukturen, die dem transdisziplinären Pro –
zess der Wissensproduktion entsprechen. Ein Beispiel für eine denkbare Maßnah –
me mit Bezug zur konkreten Alltagsökonomie in einem Quartier ist der Ausbau der
Nahversorgung mit Lebensmitteln, einschließlich begegnungs- und interaktions –
fördernder Produktions- und Konsumptions orte. Abschließend wird ein Beispiel
im Bereich Grünraum dargestellt, das auf den Ergebnissen einer expert_innenba –
sierten Systemanalyse politisch relevanter Einflussfaktoren beruht Im Folgenden
werden diese vier Beispielmaßnahmen in einem Zusammenhang dargestellt, der
deutlich macht, wie die Schaffung einer geeigneten Wissensbasis mit einer Neu –
gestaltung lokaler Entscheidungsstrukturen zusammenspielt und zu konkreten
Maßnahmen führen kann.
6
Optionen und MaßnahmenBeispielmaßnahme 1: Quartiere erfassen
Die konventionelle Raumplanung operiert vorrangig
mit abstrakt-formalistischen Begriffen wie dem Bruttoinlandsprodukt, Verkehrsflüs –
sen, Warenströmen, überregionalen Funktionen und Ranking -Positionen, die auf
physisch-geographische Planungseinheiten bezogen werden. Die Option Common
Space legt dagegen ein Raumverständnis nahe, das sich an konkreten Aktions-
und Wahrnehmungsräumen und deren Veränderlichkeit orientiert, und das mit spe –
zifischen Methoden der Erfassung korrespondiert. Zur Beschreibung und Analyse
alltagspraktischer sozial-räumlicher Beziehungsgeflechte, ihrer Einzugsgebiete
und Verdichtungen sollten qualitative und quantitative Methoden kombiniert wer –
den. Auszugehen ist dabei immer von den konkreten Alltagspraktiken, Wahrneh –
mungen und Wünschen von Bewohner_innen, ergänzt um organisationsgebunde –
nes Wissen sowie das Wissen von spezifischen Akteur_innen der Nahversorgung
und Daseinsvorsorge (Frey, Kamtner, Kroismayr, Novy & Plank, 2019).
Eine der Grundlagen für die politische Gestaltung
einer nachhaltigen Alltagsökonomie auf Quartiersebene ist die Eingrenzung der
dafür ausschlaggebenden Einzugsgebiete sozial-räumlicher Beziehungsgeflechte,
auf die sich etwa Maßnahmen zur Förderung der Nahversorgung beziehen lassen.
Eine geeignete Methode bietet dafür die von Smith & Miller (2012) entwickelte Me –
thode des ecocity mapping . Anstelle einer an politischen, administrativen oder phy –
sischen Grenzen orientierten Territorialisierung erlaubt das ecocity mapping eine
weiche Abgrenzung von Sozialräumen, die sich über gemeinsame Bezugspunkte
und deren Agglomerationen definieren, die fußläufig erreichbar bzw. erschlossen
sind. Diese Räume sind prädestinierte Common Spaces , die vielfältige Interaktio –
nen ermöglichen und zur aktiven Mobilität (das heißt zum Verzicht auf Kraftfahr –
zeuge) motivieren. Diese Bezugspunkte lassen sich als Verdichtungen nachhaltiger
Beziehungsgeflechte fassen, die gute Voraussetzungen für eine weitere Entwick –
lung und Förderung quartiersorientierter Alltagsökonomien mit einem vorteilhaften
Nachhaltigkeitsprofil aufweisen, und von denen ausgehend sich im Kontrast dazu
Defiziträume identifizieren lassen. Zu diesen Bezugspunkten gehören die Orte der
Nahversorgung, insbesondere Geschäftslokale und Betriebsstätten der Deckung
essenzieller Bedarfe (Lebensmittel, Medikamente, Finanzdienstleister_innen,
Postämter, bestimmte Dienstleister_innen wie z. B. für Installationen) und wesent –
liche sozial-ökologische Infrastrukturen der Fürsorge und Begegnung (Grünräu –
me, Freizeit- und Bildungseinrichtungen, Arztpraxen, öffentliche Räume mit hoher
Aufenthaltsqualität). Ein ecocity mapping kann in einer Basisvariante mittels eines
Geographischen Informationssystems (GIS) und automatisierten Flächenzuord –
nungen durchgeführt werden und ist mit qualitativen Erhebungen zu ergänzen. Im
Anschluss an ein ecocity mapping kann eine sozio-ökonomische Raumanalyse und
ein Institutionen- Mapping ausgewählter Verdichtungsbereiche sozial-räumlicher
Beziehungsgeflechte (z. B. Märkte oder öffentliche Plätze) durchgeführt werden
(siehe dazu das Beispiel in Frey et al., 2019), etwa um besondere Problemlagen
zu identifizieren und konkretere Wissensgrundlagen für alltagspraktisch wirksame
Maßnahmen zu generieren. Diese Erfassung ist als transdisziplinärer Prozess zum
Aufbau von Wissensallianzen zu konzipieren (Frey et al., 2019).
Das Konfliktpotenzial ist bei einer Erfassung von
Quartieren gering, größere Systemwiderstände oder Barrieren sind nicht zu er –
warten. Im Gegenteil: Es ist bei entsprechenden Problemlagen vielmehr davon
auszugehen, dass sich viele relevante Akteur_innen aktiv beteiligen, wie auch
Erfahrungen aus Wien nahelegen (Frey et al., 2019). Ein bedeutenderes Problem
stellt der notwendige Finanzierungsbedarf dar. Das Transformationspotenzial liegt
7
11_11 / Beschreibung der Option „Common Space: Quartiersorientierte Alltagsökonomie und
Ko-Produktion inklusiver Grünräume“einerseits darin, dass Informationsgrundlagen für weiterführende Maßnahmen mit
alltagspraktischer Relevanz geschaffen werden. Andererseits verändert sich damit
auch der Blick auf Stadt, der unter dieser Perspektive die konkreten Qualitäten
des städtischen Raums und die lokalen Alltagsroutinen in den Vordergrund rückt.
Die Erfassung von Quartieren als alltagspraktische, sozial-räumliche Beziehungs –
geflechte ist innerhalb existierender Systeme der Raumplanung und Stadtanalyse
grundsätzlich leicht umsetzbar – entsprechenden politischen Willen und das not –
wendige Umsetzungsinteresse vorausgesetzt.
Beispielmaßnahme 2:
Lokale Entscheidungsstrukturen etablieren
Eine quartiersorientierte Alltagsökonomie, in deren
Rahmen auch die Ko-Produktion inklusiver Grünräume günstige Bedingungen vor –
findet, kann durch spezifische Entscheidungsstrukturen erheblich gefördert werden.
Sie sollten alle Bewohner_innen dabei unterstützen ihre konkreten – und unter –
schiedlichen – Bedürfnisse und Problemlagen im glokalen Beziehungsgeflecht
des Quartiers zu artikulieren und politisch zu gestalten. Die konkrete Entwicklung
solcher Entscheidungsstrukturen muss von Anfang an Gegenstand eines partizi –
pativ-demokratischen Prozesses sein. Mögliche Elemente solcher Strukturen sind
Quartiersmanagement, Quartierszentren, Fachbeirat für die Quartiersentwicklung
im Sinn einer gezielten Förderung der Alltagsökonomie und der Ko-Produktion
inklusiver Grünräume, sowie regelmäßige allgemein zugängliche Versammlungen ,
die von Sozial- und Kulturträger_innen initiiert werden. Sinnvoll erscheint ein in
zwei Richtungen verschränkter Entscheidungsprozess, der die Maßstabsebenen
der Haushalte mit dem Quartier und der Stadt integriert: ‚Von unten‘ ausgehend
werden Anliegen gesammelt, Umsetzungen beschlossener Maßnahmen evaluiert
und Entscheidungen abgestimmt; ‚von oben ‘ werden übergeordnete Planungsvor –
haben seitens der Stadtregierung zur öffentlichen Diskussion im Sinn eines ergeb –
nisoffenen Dialogs den Quartiersversammlungen vorgelegt, Wünsche gesammelt,
Umsetzungsszenarien erarbeitet und über Methoden der konsensorientierten Ent –
scheidungsfindung abgestimmt (z. B. mittels ‚Systemischem Konsensieren‘).
Diese Maßnahme hat mit erheblichen potenziellen
Konflikten zu rechnen. Mögliche Systemwiderstände und Barrieren sind eingefah –
rene administrative Routinen, politische Interessen auf den etablierten Ebenen und
in den dominierenden Formen und Organisationen der Entscheidungsfindung, aber
auch fehlende Motivation oder unzureichende soziale, zeitliche und ökonomische
Ressourcen von Bewohner_innen, sich in Angelegenheiten ihres Quartiers zu en –
gagieren. Diese Barrieren können mit einer finanziellen Remuneration der Beteili –
gung an Partizipationsprozessen sowie spezifischen Strategien adressiert werden,
um die am schlechtesten gestellten sozialen Gruppen in diese Prozesse einzube –
ziehen. Bei Defiziten in der Grundlagenerhebung im Sinn einer quartiersorientier –
ten Alltagsökonomie können sich keine problemadäquaten Entscheidungsräume
herausbilden. Das Transformationspotenzial ist sehr weitreichend aufgrund einer
erheblichen Stärkung von Teilhabe, und wegen des Fokus auf die für Politiken der
Nachhaltigkeit ausgesprochen relevante Ebene des Quartiers mit seiner Alltags –
ökonomie. Die Maßnahme ist innerhalb existierender Systeme umsetzbar, z. B.
können die LA21-Gruppen in Wien Anhaltspunkte für erste Schritte in Richtung auf
eine solche Entwicklung bieten. Allerdings ist in weiterer Folge eine grundlegende
Systemveränderung notwendig, die Entscheidungsmacht neu verteilt.
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Optionen und MaßnahmenBeispielmaßnahme 3: Quartiersbezogene
Lebensmittelversorgung verbessern
Ein Beispiel für eine konkrete alltagspraktisch relevan –
te Maßnahme, die sich aus der entsprechenden quartiersbezogenen Wissensbasis
und förderlichen Entscheidungsstrukturen ergeben kann, ist die Verbesserung
der lokalen Lebensmittelversorgung, indem der Schwerpunkt vom individuellen
Konsum zu partizipativ-demokratischen Formen des kollektiven Konsums hin ver –
schoben wird. Ein solches Defizit zu verorten, erfordert zunächst die Analyse der
Aktionsräume von Bewohner_innen, ihrer Raumwahrnehmungen und Wünsche
sowie Alltagsroutinen, die etwa mit den vorrangigen Berufswegen und Aufgaben
der Sorge ökonomie im Haushalt (etwa im Bereich der Kinderbetreuung) im Zusam –
menspiel mit der sozial-ökologischen Infrastruktur (etwa hinsichtlich Einrichtungen
zur Kinderbetreuung) zusammenhängen (Beispielmaßnahme 1). Die Artikulation
eines solchen Defizits wird durch dauerhaft eingerichtete und transparente, leicht
zugängliche und sozial inklusive Formen der Quartierspolitik (Beispielmaßnahme
2) erleichtert. Die Entwicklung von Lösungen kann verschiedene Wege gehen,
die sich im Optimalfall aus partizipativ-demokratischen Entscheidungsprozessen
auf Quartiersebene ergeben, mit entsprechender Unterstützung durch überge –
ordnete Ebenen der Stadtregierung. Formen gebrauchswertorientierter Unter –
nehmen wie beispielsweise Genossenschaften können hier eine Rolle spielen,
indem Defiziträume, die für profitorientierte Unternehmen wenig interessant sind,
in Form von mitgliederbasierten Unternehmen aufgeschlossen und mit Einrich –
tungen der Nahversorgung ausgestattet werden. Mitgliederbasierte Unternehmen
(Genossenschaften, wie beispielsweise Mitmach-Supermärkte , aber auch Food
Coops und andere Formen) sollten allerdings nicht nur zum Füllen von Lücken im
profitorientierten Versorgungsnetz berücksichtigt werden, sondern darüber hinaus
ein wesentliches Moment einer quartiersbezogenen Alltagsökonomie und Stadt –
entwicklung sein. Dies erfordert nicht nur entsprechende politische Prozesse auf
Quartiersebene und in den relevanten Milieus der Unternehmensgründung, son –
dern auch auf der Ebene von Stadt, Land und Bund.
Potenzielle Konflikte können sich mit profitorientier –
ten Unternehmen ergeben, sofern Genossenschaften eine größere Bedeutung
erlangen sollten. Systemwiderstände und Barrieren können eingefahrene Routinen
der Unternehmensförderung und Stadtentwicklung sowie institutionelle Blind –
stellen gegenüber mitgliederbasierten Unternehmen bilden. Eine weitere Barriere
kann mangelndes Interesse potenzieller Mitglieder darstellen. Im Optimalfall ist
für mitgliederbasierte Unternehmen ein Kern aktiver Mitglieder notwendig, die den
Aufbau und die Ausrichtung des Unternehmens gestalten. Das Transformations –
potenzial ist sehr hoch: Die Einbindung von Bewohner_innen in Strukturen ihrer
eigenen Nahversorgung stärkt die Teilhabe, erhöht die Krisenresilienz, kann zu
einer weitergehenden Demokratisierung der Gesellschaft beitragen und einen
wichtigen Weg zur Vermittlung von Nachhaltigkeitsthemen (etwa über Produktinfor –
mationen und Unternehmenskommunikation) bilden. Diese Maßnahme ist inner –
halb existierender Systeme umsetzbar, würde aber durch Systemveränderungen in
unterschiedlichem Ausmaß (etwa auf der Ebene der gesetzlichen Rahmenbedin –
gungen) erheblich begünstigt.
Wesentliche Elemente der quartiersbezogenen Le –
bensmittelversorgung sind Märkte als Begegnungs- und Austauschorte sowie Gär –
ten, die gemeinschaftlich bewirtschaftet werden ( Urban Gardening ). Diese können
auf ebenen Flächen genauso errichtet werden wie an Hauswänden ( Vertical Gar –
dens ) oder auf ungenutzten Dachflächen. Das urbane Gärtnern stärkt die Resilienz
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11_11 / Beschreibung der Option „Common Space: Quartiersorientierte Alltagsökonomie und
Ko-Produktion inklusiver Grünräume“von Quartieren und den Zusammenhalt der Menschen. Zudem fördern die kurzen
Wege für die Besorgung von Lebensmitteln nachhaltige Formen der Mobilität.
Beispielmaßnahme 4: Grünraum
inklusiver gestalten
Die expert_innenbasierte Analyse des Systems, das
für die sozial inklusive Gestaltung von Grünraum ausschlaggebend ist, ergibt
Partizipation als Schlüsselfaktor im Rahmen einer quartiersbezogenen Alltagsöko –
nomie und Blick auf Prozesse der Ko-Produktion. Eine wesentliche quantifizierbare
Zielgröße ist dabei eine ausreichende Fläche an Grünraum pro Einwohner_in. Die
Topographie muss als entscheidende Rahmenbedingung mitberücksichtigt werden.
Im Sinn der Option Common Space sind sozial inklusive Grünräume in das über –
greifende Quartier als alltagspraktisches sozial-räumliches Beziehungsgeflecht
einzubetten und als deren integraler Bestandteil zu konzipieren, umzusetzen, zu
gestalten und zu pflegen. Geeignete lokal situierte und partizipativ-demokratische
Entscheidungsstrukturen mit Bezug zur quartiersorientierten Alltagsökonomie (Bei –
spielmaßnahme 2) können solche Prozesse der Gestaltung von Grünraum fördern
und deren multifunktionellen Charakter sicherstellen. Dabei sind auch spezifische
Angebote für sozial benachteiligte Gruppen zu schaffen. Damit können zugäng –
liche, sichere und inklusive Grünräume erreicht werden, die zudem eine hohe
Personendichte und eine entsprechende urbane Aufenthaltsqualität aufweisen.
Grünraum zu schaffen und zu pflegen sollte allerdings
auch die Bedürfnisse und eigensinnigen Beiträge der nicht-menschlichen Lebewelt
entsprechend berücksichtigen und würdigen. Dies kann zum Teil auch Nutzeffekte
für den Menschen zeitigen, etwa indem eine in der Regel ästhetisch ansprechende
Artenvielfalt und strukturelle Heterogenität gefördert beziehungsweise zugelassen
werden. Darüber hinaus wird damit aber auch die Rolle von urbanem Raum zur
Sicherung von nicht-menschlichen Lebensformen anerkannt und das erhebliche
Potenzial von Biodiversitätspolitik in der Stadt genutzt, wodurch Stadtplanung auch
den nicht auf den Menschen reduzierbaren Charakter von Stadtnatur würdigt.
Potenzielle Konflikte können sich bei entsprechender
Ausweitung von Grünraum mit dem Interesse an der Nutzung von Kraftfahrzeugen,
mit kommerziellen und Verkehrsinfrastrukturen ergeben. Systemwiderstände und
Barrieren der Beispielmaßnahme 2 sind auch für die Schaffung inklusiver Grünräu –
me relevant, weil sie dafür notwendige Entscheidungsstrukturen betreffen. Dazu
kommen eingefahrene administrative und Planungsroutinen, die Stadt nicht von
Grünräumen herdenken, sondern von der Infrastruktur für (insbesondere den moto –
risierten) Verkehr, Wohnraum und Geschäftslokale. Die Umsetzung der Maßnahme
ist innerhalb existierender Systeme möglich, erfordert im weiteren Verlauf aller –
dings eine grundlegende Systemveränderung hin zu einer erheblichen Aufwertung
von Grünraum als Rückgrat und Gerüst einer lebenswerten Stadt.
11_11 .3.2 Erwartete Wirksamkeit
Die Option Common Space adressiert sowohl das Tar –
get 11.3 als auch das Target 11.7 und behandelt die damit verbundenen Zielrichtun –
gen als Bestandteil einer funktionierenden quartiersorientierten Alltagsökonomie.
Durch den Schwerpunkt auf die Schaffung der notwendigen Wissensbasis, die
schon im Prozess selbst die grundlegende partizipativ-demokratische Gestaltungs –
rationalität zum Ausdruck bringt, und korrespondierende Entscheidungsstrukturen,
die damit verbunden werden sollten, können positive Rückkopplungen zwischen
erhöhter Beteiligung und verstärkt positiven Wirkungen alltagspraktischer Um –
10
Optionen und Maßnahmensetzungsmaßnahmen geschaffen werden. Negative Auswirkungen sind in Hinblick
auf jene ökonomischen und politischen Interessen denkbar, die einer nachhaltigen
quartiersorientierten Alltagsökonomie strukturell entgegenstehen, aber auch auf
soziale Gruppen, die sich nur unzureichend an den dafür relevanten Entschei –
dungsprozessen beteiligen können oder wollen. Die Neuverteilung von Entschei –
dungsmacht und ökonomischen Ressourcen ist nicht in allen Fällen mit Win-Win –
Situationen für alle Akteur_innen des nicht-nachhaltigen Systems verbunden, weil
sich bestimmte Akteur_innen selbst neuformieren müssen, um die Transformation
hin zu einem nachhaltigen System zu vollziehen. Grundsätzlich sind Widersprüche
zwischen den charakteristischen Praktiken der kapitalistischen Wirtschaftsweise
(Inwertsetzung, Wachstums- und Profit- sowie Weltmarktorientierung, Dominanz
individuellen Konsums, globaler Massentourismus) einerseits und Anforderungen
nachhaltiger Entwicklung sowie Rationalitäten der Alltagsökonomie andererseits
zu erwarten. Zudem schränken die Vermarktlichung von Boden und Wohnen sowie
die Privatisierung und Finanzialisierung der Daseinsvorsorge die Handlungsspiel –
räume für städtische Politik ein. Hieraus ergeben sich voraussichtlich in vielen
Fällen grundlegende Zielkonflikte mit Themen sozialer Gerechtigkeit und Ökologi –
sierung. Die Barrieren einer sozial inklusiven Quartiersentwicklung sind dagegen
grundsätzlich durch spezifisch abgestimmte Maßnahmen der Einbindung von
sozial benachteiligten Gruppen bearbeitbar. Darauf muss mit Blick auf eine quar –
tiersorientierte Entwicklung der Alltagsökonomie das zentrale Augenmerk gelegt
werden. Ein Monitoring der Option erfolgt im Optimalfall von unten durch geeignete
Bewertungs- und Rückmeldungsverfahren im Rahmen der Beispielmaßnahme 2.
11_11 .3.3 Bisherige Erfahrungen mit dieser
Option oder ähnlichen Optionen
Die Komponenten der Option, das heißt die einzelnen
Beispielmaßnahmen sind bereits in verschiedenen Formen im In- und Ausland ein –
gesetzt worden. Die Methoden der Quartierserfassung sind in den USA (Smith &
Miller, 2012) und in Wien (Frey et al., 2019) erprobt worden, wobei sich gezeigt hat,
dass auf diesem Wege Stakeholder_innen und Bewohner_innen für Fragen der
quartiersbezogenen Alltagsökonomie begeistert und entsprechende Gestaltungs –
prozesse effektiv vorbereitet werden können. Lokal situierte partizipativ-demokra –
tische Entscheidungsstrukturen sind in kleinem Rahmen etwa in Wien in Form der
LA21-Gruppen erprobte Praxis, mit einer insgesamt sehr positiven Bilanz nachhal –
tigkeitsrelevanter Projekte mit Bezug zur Alltagsökonomie von Quartieren. Weiter –
gehende Formen blicken etwa in Barcelona auf eine schon längere Geschichte
zurück, insbesondere quartiersübergreifende Versammlungen zur Artikulation von
Wünschen, Abstimmung von Maßnahmen und Rückmeldungen zu Umsetzungen
(Blanco, 2015; Charnock, March & Ribera-Fumaz, 2019). Für die Verbesserung
lokaler Lebensmittelversorgung durch mitgliederbasierte Unternehmen gibt es
weltweit sehr viele Beispiele; in Österreich etwa die Gründung der Genossenschaft
Um’s Egg . Spezifische urbane und regionale Politiken der Förderung der Nahver –
sorgung zeigen die Möglichkeiten zur Stärkung der Nahversorgung im Lebensmit –
telsektor auf. Die partizipativ-demokratische Planung sozial inklusiver Grünräume
kann auf vereinzelte Beispiele verweisen, ist insgesamt gesehen aber weitgehend
Neuland. Selektive Beteiligungsverfahren werden in Österreich nur im Rahmen
bestimmter Bauverfahren eingesetzt. Die Berücksichtigung der ko-produktiven
Beiträge nicht-menschlicher Lebewesen in der Gestaltung eines qualitätsvollen
Lebens in der Stadt, die über menschliche Interessen hinausgeht, kann noch
kaum auf nationale oder internationale Beispiele verweisen. Allerdings bieten die
11
11_11 / Beschreibung der Option „Common Space: Quartiersorientierte Alltagsökonomie und
Ko-Produktion inklusiver Grünräume“12Diskussionen um den Biodiversitätsaspekt, der sogenannten Grünen Infrastruktur
und entsprechende konzeptionelle Vorarbeiten etwa in Rom dafür Anhaltspunkte
(Capotorti et al., 2019).
11_11 .3.4 Zeithorizont der Wirksamkeit
Die Option Common Space geht von der Basis der
alltäglichen Lebensführung auf Quartiersebene aus und findet aus diesem Grund
eine Vielzahl an Anknüpfungspunkten vor. Auch einzelne Maßnahmen mit Blick
auf die Förderung der Alltagsökonomie können in allen Beispielfällen, die oben
beschrieben werden, unmittelbar umgesetzt werden, allerdings nur mit den ersten
Schritten. Die Option zielt insgesamt sowie in ihren einzelnen Beispielmaßnahmen
auf eine grundlegende Systemtransformation und erfordert entsprechend auch
weitergehende Maßnahmen etwa in der Gestaltung von gesetzlichen Rahmenbe –
dingungen und der Veränderung öffentlicher Diskurse. Die Wirkung, so ist zu er –
warten, steigt mit der Zeit, weil die Eingriffstiefe und der Transformationscharakter
zunehmen. Die ersten positiven Auswirkungen sind allerdings bei der Umsetzung
der Beispielmaßnahmen schon kurzfristig zu erwarten.
11_11 .3.5 Vergleich mit anderen Optionen,
mit denen das Ziel erreicht werden kann
Die Option Common Space ist spezifisch zur Errei –
chung der mit den Targets 11.3 und 11.7 verbundenen Zielsetzungen konzipiert.
Die oben beschriebenen Beispielmaßnahmen adressieren eine Reihe dafür not –
wendiger Voraussetzungen.
11_11.3.6 Interaktionen mit anderen Optionen
siehe Kapitel 5
11_11.3.7 Offene Forschungsfragen
Alle im Rahmen der Option vorgestellten Maßnahmen
erfordern weitergehende Forschungen. Die Methoden des ecocity mapping , der
sozio-ökonomischen Raumanalyse und des Institutionen- Mapping sollten in wei –
teren Städten und Stadtvierteln vertieft und weiterentwickelt werden. Der Aufbau
lokaler partizipativ-demokratischer Entscheidungsstrukturen ist trotz bestehender
Anknüpfungspunkte weitgehend Neuland und zu wenig erforscht. Für die Förde –
rung mitgliederbasierter Unternehmen zur Verbesserung lokaler Lebensmittelver –
sorgung gibt es einen vergleichsweise besseren Wissensstand. Allerdings fehlen
hier weitgehend Erfahrungen und Wissen zum Mainstreaming neuer Formen der
Lebensmittelversorgung etwa in Gestalt von food coops . Die partizipativ-demokra –
tische Gestaltung von Grünräumen und damit in Zusammenhang stehender urba –
ner Biodiversitätspolitiken kann auf eine Reihe von Anknüpfungspunkten zurück –
greifen, eine ausreichende wissenschaftliche Grundlage fehlt jedoch bislang.
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13

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