SDG_06_Option_06_02_pdf_20231119_182352.txt

Optionen
und
Maßnahmen
Österreichs Handlungsoptionen
zur Umsetzung
der UN-Agenda 2030
für eine lebenswerte Zukunft.
UniNEtZ –
Universitäten und Nachhaltige
Entwicklungsziele
Optionen und Maßnahmen1
06_02 / Verstärkter Einsatz Blau-Grün-Brauner Infrastruktur3 Abbildungsverzeichnis
3 Tabellenverzeichnis
5 06_02 .1 Ziele der Option
3 06_02.2 Hintergrund der Option
5 06_02.3 Optionenbeschreibung
5 06_02.3.1 Beschreibung der Option bzw. der zugehörigen Maßnahmen
bzw. Maßnahmenkombinationen
9 06_02.3.2 Erwartete Wirkungsweise
11 06_02.3.3 Bisherige Erfahrung mit dieser Option oder ähnlichen Optionen
12 06_02.3.4 Zeithorizont der Wirksamkeit
12 06_02.3.5 Vergleich mit anderen Optionen, mit denen das Ziel
erreicht werden kann
12 06_02.3.6 Interaktionen mit anderen SDGs
17 06_02.3.7 Offene Forschungsfragen
19 Literatur 06_02
Targets 6.3, 6.4, 6.5,
6.6 und, 6-bAutor_innen:
Fuchs-Hanusch, Daniela ( Technische Universität
Graz ); Regelsberger, Martin ( Technisches Büro
Regelsberger )Verstärkter Einsatz Blau-Grün-Brauner
Infrastruktur
2Inhalt
Optionen und Maßnahmen3Abbildungsverzeichnis
Abb. O_6-02_01 :
Wasserhaushalt, links
„urbaner“ mit versiegelter
Oberfläche, rechts „natür –
licher“ mit grüner Ober –
fläche. Quelle: Gößner
(2020, adaptiert)
// Fig. O_6-02_01 : Water
balance, left side with
green, right side with
sealed surface. Source:
Gößner (2020, adapted)Tabellenverzeichnis
Tab. O_ 6 – 02 _ 01: Wir –
kung auf die Targets von
SDG 6. Quelle: eigene
Darstellung.
// Tab. O_ 6 – 02 _ 01:
Impact on the targets
of SDG 6. Source: own
elaboration.
Tab. O_6-02_02: Inter –
aktionen mit anderen
SDGs. Quelle: eigene
Darstellung.
// Tab. O_6-02_02: Inter –
actions with other SDGs.
Source: own elaboration.4 10
14
06_02 / Verstärkter Einsatz Blau-Grün-Brauner Infrastruktur406_02.1 Ziele der Option
Ziel ist es, Blau-Grün-Braune Infrastruktur (BGB
Infrastruktur) als Alternative zu grauer Infrastruktur (Kanal, Betonbecken etc.) für
dieselben Einsatzzwecke verstärkt zu fördern.
Bei BGB Infrastruktur handelt es sich um Pflanzen, Wasserflächen und -körper
und Boden als Teil der urbanen Wasserinfrastruktur zur Regenwasserbewirt –
schaftung, aber auch für die dezentrale Behandlung von Wasser, zum Beispiel
Grauwasser (Wasser aus Haushalten ohne Fäkalien, vom Bad, der Waschma –
schine, eventuell der Küche) oder Abwasser, für dessen lokale Nutzung. Es wer –
den damit Ökosystemdienste, sogenannte Nature-Based Solutions im urbanen
Raum für eine integrierte Bewirtschaftung der Wasserressourcen genutzt. Die
BGB Infrastruktur verfolgt gegenüber grauer, gebauter Infrastruktur mehrere
Ziele gleichzeitig.
Die Option zielt auf die Targets 6.3., 6.4., 6.5., 6.6.
und 6.b. ab. Durch den verstärkten Einsatz von BGB Infrastrukturen soll eine
Verbesserung der Wasserqualität durch eine Verringerung des Eintrags von ver –
schmutztem Niederschlagswasser in Gewässer erreicht werden (Target 6.3.). Es
ergibt sich ein geringerer Wasserbedarf für Bewässerung bzw. eine sichere und
selbsttätige Versorgung von urbanem Grün mit ausreichend Wasser, das sonst
ungenutzt und teuer abgeleitet werden müsste (Target 6.4.). BGB Infrastrukturen
tragen zum integrierten Wasserressourcenmanagement (IWRM) auf lokaler Ebe –
ne (Stichwort Urbaner Wasserhaushalt siehe Abb. O_6-02_01 ) bei (Target 6.5.).
Abb. O_6-02_01 :
Wasserhaushalt, links „urbaner“
mit versiegelter Oberfläche,
rechts „natürlicher“ mit grüner
Oberfläche. Quelle: Gößner
(2020, adaptiert) // Fig. O_6-02_01 : Water
balance, left side with green, right
side with sealed surface. Source:
Gößner (2020, adapted)
Durch Maßnahmen des Bodenschutzes erfolgt beim
Einsatz von BGB Infrastruktur eine Vergrößerung des Anteils wasserverbunde –
ner Ökosysteme (kleinräumige Maßnahmen im urbanen Raum über Feuchtbio –
tope als Wasserspeicher und -reinigungseinrichtungen, bis zu blauen, aber auch
grünen und braunen Korridoren durch die Stadt) (Target 6.6.).
Optionen und Maßnahmen506_02.2 Hintergrund der Option
Die aktuell in der Siedlungswasserwirtschaft
(„Siedlungsentwässerung“) eingesetzten Infrastrukturen (graue Infrastrukturen
wie Kanäle, Mischwasserüberläufe und -becken, Abwasserreinigung) haben
verschiedene Defizite. Dazu zählt nach Oral et al. (2020) unter anderem die
Tatsache, dass graue Infrastrukturen unflexibel hinsichtlich des Bestands aber
auch in Hinblick auf neu auftauchende Stoffe sind. Sie weisen meist hohe
Investitions- sowie Betriebskosten auf und es sind aktuell umfassende Sa –
nierungs- und Modernisierungsmaßnahmen notwendig (Assmann et al. 2019).
Graue Infrastrukturen verändern zudem den Wasserhaushalt gegenüber der
natürlichen Pflanzendecke (in unseren Breiten vorwiegend Wald) massiv. Abbil –
dung O_6-02_01 zeigt rechts einen typisch urbanen Wasserhaushalt mit hohem
Oberflächenabfluss einerseits und vernachlässigbarer Grundwasserneubildung
und Verdunstung andererseits. Demgegenüber ist auf der linken Seite zu sehen,
dass im natürlichen Wasserhaushalt eines Waldes die Verdunstung den weitaus
höchsten Anteil einnimmt, die Grundwasserneubildung immer noch beachtlich
und der Oberflächenabfluss nahezu vernachlässigbar ist. Der durch die Versie –
gelung geprägte urbane Wasserhaushalt ist mitverantwortlich für den urbanen
Hitzeinseleffekt, wohingegen die hohe Verdunstung im natürlichen Wasserhaus –
halt für eine solargetriebene Temperierung sorgt.
Zusätzlich führen graue Infrastrukturen zu Verlust
von Boden als Wasserspeicher in Form von Humus (CO2). Die lokale Nutzung
von vorhandenen Ressourcen wie Regenwasser ist beim bestehenden System
nicht vorgesehen, was dazu führt, dass für alle Zwecke, auch wo dies nicht nötig
wäre, wie Autowaschen, Gießen etc., Trinkwasser oft aus großer Entfernung in
Siedlungen transportiert werden muss. Alles Regenwasser muss dann teuer aus
Siedlungen abgeleitet werden. Zudem existiert im aktuellen System auch eine
Ungerechtigkeit bei der Kostenaufteilung dieser Ableitung (Kleidorfer et al. 2019).
Aufgrund urbaner Hitzeinseleffekte, verstärkt durch
den globalen Klimawandel und zunehmende pluviale Überflutungen, resultierend
aus Flächenversiegelung und Klimawandel (Kaspersen et al. 2017), wird die Not –
wendigkeit der Änderung des aktuellen Systems immer deutlicher.
Weitere Gründe BGB Infrastrukturen verstärkt ein –
zusetzen sind der Verlust der Artenvielfalt, nicht zuletzt durch Lebensraumver –
luste, der unbefriedigende Zustand vieler Gewässer oder der vermehrte Bedarf
an zusätzlichem Grün sowie offenem Wasser und Boden für Wohlbefinden und
Gesundheit der urbanen Bevölkerung.
06_02 .3 Optionenbeschreibung
06_02 .3.1 Beschreibung der Option bzw. der
zugehörigen Maßnahmen bzw. Maßnahmenkom –
binationen
Bei BGB Infrastruktur (Wasser, Vegetation und
Boden) handelt es sich um die Nutzung von Ökosystemdiensten sogenannter
Nature-Based Solutions (Gründächer, grüne Fassaden, bepflanzter Boden als
Wasserspeicher und „Luftbefeuchter“, Pflanzenkläranlagen, Feuchtbiotope,
urbaner Gartenbau, Parks, Teiche, renaturierte Gewässer, um nur einige zu
06_02 / Verstärkter Einsatz Blau-Grün-Brauner Infrastruktur6nennen) im urbanen Raum für eine integrierte Bewirtschaftung der Wasserres –
sourcen, die gegenüber grauer, gebauter Infrastruktur leichter mehrere Ziele
gleichzeitig verfolgen. Es gilt, durch die Integration der BGB Infrastruktur in die
Stadtplanung, die Flächenwidmungs-, Verkehrs- und Bebauungsplanung und
in die urbane Architektur, Platz für urbanes Grün, Wasserflächen und Gewäs –
ser sowie offenen Boden zu schaffen und diese Einrichtungen statt Schächten,
Rohren und Behältern für die Wasserbewirtschaftung zu nutzen.
Der Einsatz von BGB Infrastruktur soll durch folgen –
de Maßnahmen erreicht werden:
1. Gesetzliche Vorgaben, Förderungen und andere Maßnahmen, um die Ent –
siegelung (Begrünung/Grünflächen/Biotope etc. statt Beton & Asphalt) voran –
zutreiben;
2. Trennung der Gebühren von Abwasser und Regenwasser, um einen Anreiz
für die lokale Bewirtschaftung von Regenwasser (Versickerung, Kreislauffüh –
rung etc.) zu schaffen (Gebühren splitting ) (Nickel et al. 2014);
3. Erarbeitung der nötigen Bemessungsgrundlagen, insbesondere Wasserbe –
darf und Verdunstungsleistung von urbanem Grün sowie Charakteristika von
Substraten bezüglich Wasserhaushaltes und Belastbarkeit;
4. Einbindung von BGB Infrastrukturansätzen in die universitäre Lehre und
Fachausbildung (z. B. HTL);
5. Qualifizierungsangebote, um Fachwissen zu BGB Infrastruktur unter Berufs –
tätigen zu verbreiten;
6. Berücksichtigung des multiplen Nutzens (Wasserkreislauf, Reduktion von
Hitzeinseln, lokale Lebensmittelproduktion etc.) von BGB Infrastruktur in der
Planung und in den Förderrichtlinien;
7. Förderung der transsektoriellen Planung von städtischen Infrastrukturvor –
haben, um Synergien zu nutzen; BGB Infrastruktur sollte als Teil der (tech –
nischen) Siedlungsinfrastruktur gesehen werden (Ma et al. 2015; Masi et al.
2018).
Ad 1) Um urbane BGB Infrastruktur einsetzen zu
können, müssen die von Ingenieur_innen verwendeten gesetzlichen und, in der
Praxis meist bindenden, technischen Richtlinien auf Hindernisse überprüft und
diese gegebenenfalls beseitigt werden. Zusätzlich werden spezifische Rege –
lungen (z. B. Normen; Richtlinien des Österreichisches Institut für Bautechnik
(OIB), des Österreichischer Wasser- und Abfallwirtschaftsverband (ÖWAV) und
Österreichische Vereinigung für das Gas- und Wasserfach (ÖVGW) etc.), für
den Einsatz der BGB Infrastruktur benötigt. Dies gilt auch für Förderrichtlinien,
nach deren Kriterien entschieden wird, ob ein Projekt förderungswürdig ist oder
nicht. Zum Beispiel wird bei der „Stadtentwässerung“ derzeit zwischen privaten
und öffentlichen Maßnahmen unterschieden und nur letztere sind im Rahmen
der Wasserwirtschaft förderbar. Die integrierte Regenwasserbewirtschaftung
mit BGB Infrastruktur setzt aber auf eine Kaskade von Maßnahmen, die an
oft privaten Gebäuden und auf den zugehörigen Grundstücken beginnt. Nach
geltenden Kriterien gehören diese Maßnahmen nicht zur öffentlichen Stadtent –
wässerung und sind nicht förderbar.
Ad 2) Bei den meisten geltenden Tarifen in Öster –
reich werden Kanalgebühren nach dem Abwasseranfall, sehr oft indirekt durch
Optionen und Maßnahmen7den Wasserverbrauch oder aber auch die Zahl der vorhandenen Toiletten,
bemessen. Die meisten Städte leiten aber sowohl Abwasser als auch Regen –
wasser in entweder gemeinsamen (Mischwasserkanal) oder zwei getrennten
Kanälen (Trennkanal) ab. In aller Regel sind die Kanäle für das Regenwas –
ser wesentlich größer als reine Abwasserkanäle und daher auch teurer. Dies
führt zu einer ungerechten Aufteilung der Kanalkosten, zum Beispiel zwischen
Wohnungsbesitzer_innen mit kleiner Regenwasserabgabe und Gebäuden mit
wenigen Sanitäreinrichtungen aber einer großen versiegelten Fläche, wie zum
Beispiel Lagerhäusern, die meist große Mengen Regenwasser in den nächsten
Kanal einleiten. Eine gesonderte Berechnung eines Anteils der Kanalgebühr
für das eingeleitete Regenwasser führt zu einer gerechteren Aufteilung der
Kosten und hat zumindest in Deutschland zu sehr vielen Projekten einer lokalen
Regenwasserbewirtschaftung geführt, die es erlaubten, kein oder weniger
Regenwasser an Kanäle abzugeben und damit auch Gebühren zu sparen. Ein
gezieltes Monitoring der auf diese Art bewirtschafteten Regenwassermengen
oder versiegelten Flächen ist allerdings nach bestem Wissen der Autor_innen
nicht durchgeführt worden.
Ad 3) Es zeigt sich, dass für den Einsatz von BGB
Infrastruktur durch Ingenieur_innen Bemessungsgrundlagen teilweise noch feh –
len. Zum Beispiel ist der Wasserbedarf bzw. die Verdunstungs- und damit auch
Kühlleistung von urbanem Grün wie Bäumen, Sträuchern und Kletterpflanzen
noch nicht ausreichend bekannt. Auch zu den Eigenschaften von Substraten
bezüglich ihrer Wasserspeicherfähigkeit, Reinigungsleistung bzw. Filterwirkung
und Festigkeit, im Hinblick auf Belastungen im Straßenraum und durch Bäume,
sind über bisher bekannte Arbeiten (z. B. Rahman et al. 2017) hinausgehende
Untersuchungen erforderlich (Stelzl 2019). Auch Kenntnisse zum Zusammen –
spiel von Bäumen und Straßeneinbauten, zumal wasserführenden Rohrleitun –
gen, fehlen. Ohne diese Information ist ein Einsatz solcher Infrastruktur durch
Ingenieur_innen nicht denkbar. Zusätzlich fehlen im Hinblick auf eine mehrziel –
orientierte Planung oft Ansätze zur Quantifizierung der verschiedenen Nutzen,
die neben dem unmittelbaren Infrastrukturzweck mit der BGB Infrastruktur er –
zielt werden und deren Attraktivität stark erhöhen können.
Ad 4) Damit BGB Infrastruktur bei Planungen in
Zukunft berücksichtigt werden kann, muss zumindest das derzeit vorhandene
Wissen in Studien- bzw. Lehrpläne einschlägiger Berufe (Ingenieur_innen, In –
genieurbiolog_innen, Architekt_innen, Städteplaner_innen, Raumplaner_innen
etc.) aufgenommen werden.
Ad 5) Die Berufsausbildung junger Menschen zeigt
erst nach einem längeren Zeitraum von zehn bis 20 Jahren ihre Wirkung in
Umsetzungsprojekten. Dies ist für die Agenda 2030 zu lange. Daher muss es
auch berufsbegleitende Fortbildungsangebote geben, die Planer_innen der
sehr unterschiedlichen betroffenen Bereiche, Behörden und Entscheidungsträ –
ger_innen die routinemäßige Anwendung der neuen Ansätze BGB Infrastruktur
so vermitteln, dass diese Anwendung im praktischen Alltag der Planungs- und
Genehmigungstätigkeit möglich wird.
Ad 6) Die derzeit übliche Planung von Infrastruk –
tur kennt nur klare Zuschreibungen von Einrichtungen zu einer meist einzigen
06_02 / Verstärkter Einsatz Blau-Grün-Brauner Infrastruktur8Aufgabe. Über diese Aufgabe hinaus wird meist kein weiterer Nutzen ange –
strebt. Es gibt allerdings auch jetzt schon Beispiele, bei welchen dies nicht
mehr zutrifft. Gewässer wurden schon vor Längerem als wichtige Ökosysteme
erkannt und Maßnahmen an Gewässern, auch zum Hochwasserschutz oder
zur Energiegewinnung, müssen in aller Regel die Bedeutung des Ökosystems
berücksichtigen und dieses erhalten, wobei oft sogar angestrebt wird, dessen
Funktionen aufzuwerten und auch den Erholungswert zu fördern. Bei Gründä –
chern, die mittlerweile schon relativ häufig gebaut werden, wird der Mehrfach –
nutzen, wie Regenwasserrückhalt, Kühlung des Gebäudes, Lebensraum, zum
Beispiel Bienenweide, Erholungswert etc. durchaus in Bewertungen miteinbezo –
gen. Die Berücksichtigung der vielen unterschiedlichen Nutzen von BGB Infra –
struktur und die gezielte Optimierung ihrer Potentiale, auch durch Regelwerke
und die gezielte Förderung von mehrzielorientierten Einrichtungen, wird wichtig
sein, um dem Ansatz zum Durchbruch zu verhelfen.
Ad 7) Die unter 6 beschriebene Verfolgung mehrerer
Ziele gleichzeitig mit einer einzigen Einrichtung bedeutet in der jetzigen Gliede –
rung von Verwaltungen und Planungseinrichtungen, dass quer über deren Ein –
teilung hinweg zusammengearbeitet werden muss, um die verschiedenen Ziele
zu würdigen und optimieren, bzw. auch die Einrichtung zu finanzieren und dann
zu betreiben. Diese Zusammenarbeit wird durch geeignete Prozesse, mögli –
cherweise auch besondere Strukturen, ähnlich wie es jetzt schon Energie- oder
Radbeauftragte in Städten sind, zu fördern sein, damit sie funktionieren kann.
Beschreibung von potenziellen Konflikten und
Systemwiderständen sowie Barrieren
—ausgebaute, aufwändige und weitestgehend funktionierende Infrastruktur ist
vorhanden;
—Fachwissen zu BGB Infrastruktur ist bei Zuständigen nicht vorhanden (Zuni –
ga-Teran et al. 2020);
—Finanzierung;
—Widerstände gegen sektorübergreifende Zusammenarbeit.
Beschreibung des Transformationspotenzials
—macht urbane Wasserinfrastruktur flexibler, resilienter, nachhaltiger und, zu –
mal unter Einbeziehung ihrer vielfältigen Funktionen, günstiger;
—senkt den Ressourcenverbrauch, sowohl an Wasser als auch an Baustoffen,
Energie und versiegelter Fläche;
—senkt Emissionen aus Städten, zumal in Gewässern;
—fördert soziale Gerechtigkeit, Frieden und Zusammenhalt durch mehr Grün,
(gemeinschaftliches) urbanes Gärtnern etc. (Säumel et al. 2019);
—sichert Artenschutz und fördert Biodiversität durch Schaffung bzw. Erhal –
tung von Lebensräumen, nicht zuletzt an der Schnittstelle von Land und
Wasser und im Boden;
—fördert die Gesundheit der Stadtbewohner_innen;
—erhöht den Lebenswert der Städte durch bessere Luft, angenehmere Tem –
peraturen, durch urbanes Grün und Blau als Erholungsräume.
Umsetzungsanforderung
—politischer Wille zu transsektorieller Umgestaltung von urbanen Räumen
Optionen und Maßnahmen9und entsprechenden Finanzierungen;
—transsektorielle Ansätze bei der Arbeit (z. B. multi-criteria decision analysis
(MCDA));
—Grundlagenkenntnisse zu urbanem Grün (Wasserbedarf, Verdunstungsleis –
tung) und Koexistenz mit unterirdischer Infrastruktur;
—Co-Design – und Co-Creation -Ansätze bei der Umsetzung durch alle Stake –
holder_innen gemeinsam;
—entsprechende Ausbildung von Fachleuten, sowohl für die Planung als auch
die Genehmigung der Projekte;
—Bewusstseinsbildung für die Maßnahmen bei allen Stakeholder_innen.
06_02 .3.2 Erwartete Wirkungsweise
—Die oben beschriebenen Maßnahmen 06_02_1 bis 06_02_7 für einen ver –
stärkten Einsatz der BGB Infrastruktur bewirken folgendes:
—Durch die in Maßnahme 06_02_1 geforderte Schaffung von gesetzlichen
Vorgaben und Förderungen für BGB Infrastruktur wird eine Entsiegelung vo –
rangetrieben, weil Ingenieur_innen ein neuer Stand der Technik vorgegeben
wird, nach dem geplant werden kann, und Behörden Richtlinien vorfinden,
nach denen sie genehmigen und gegebenenfalls fördern können.
—Maßnahme 06_02_2 schafft Gebührengerechtigkeit – polluter pays princi –
ple, d. h. der_die Verschmutzer_in zahlt auch in Bezug zur Wassermenge,
wodurch Mittel für die Umsetzung von Nature Based Solutions zur Regen –
wasserbewirtschaftung freigesetzt werden.
—Maßnahme 06_02_3 schafft derzeit noch fehlende Bemessungsgrundlagen
für BGB Infrastrukturen, wie beispielsweise Wasserbedarf und Verdunstung
von urbanem Grün, Wechselwirkung zwischen BGB Infrastruktur und unter –
irdischen Einbauten.
—Maßnahmen 06_02_4 und 06_02_5 verbreiten das notwendige Wissen zum
verstärkten Einsatz von BGB Infrastrukturen.
—Durch die gezielte Berücksichtigung aller möglichen Potenziale der BGB
Infrastruktur bei der Planung, werden diese zu einem hohen Maß mobilisiert,
wodurch Maßnahme 06_02_6 eine erhöhte Bereitschaft zu deren Einsatz
bewirkt.
—Durch die transsektorielle Planung und die Schaffung geeigneter struktureller
Rahmenbedingungen dafür, welche Maßnahme 06_02_7 anstrebt, wird die,
für den verstärkten Einsatz von BGB Infrastruktur optimale Mehrzielplanung
(Maßnahme 06_02_6), ermöglicht.
—Letztlich sollen alle Maßnahmen dazu beitragen, die Wasserbewirtschaftung
in Siedlungen im Sinn des SDG 6 zu verbessern. Tab. O_6-02_01 zeigt, wie
sich BGB Infrastruktur auf die einzelnen Targets von SDG 6 auswirkt.
06_02 / Verstärkter Einsatz Blau-Grün-Brauner Infrastruktur10
6-1Sicherung von Trinkwasserreserven auch in Trockenzeiten
durch Nutzung alternativer Wasserquellen für geeignete An –
wendungen (z. B. Regenwasser, Wasser von Bädern – Grau –
wasser oder Abwasser als Bewässerungswasser oder für
Toilettenspülung);
6-2Entlastung von Kanälen und von Abwasserreinigungsanlagen
bei Mischkanalsystemen (in denen Abwasser und Regenwas –
ser im selben Rohr abgeleitet werden);
6-3Verbesserte Wasserqualität (geringerer Eintrag von Verschmut –
zung durch Niederschlagswasser, Reduktion von Überläufen
des gemischten Regen- und Abwassers aus Mischkanalsyste –
men in Gewässer) der Gewässer;
6-4Geringerer Wasserbedarf für Bewässerung bzw. sichere und
selbsttätige Versorgung von urbanem Grün mit ausreichend
Wasser aus der Stadt, das sonst ungenutzt und teuer abgelei –
tet werden müsste;
6-5Integriertes Wassermanagement auf lokaler Ebene (Stichwort
Urbaner Wasserhaushalt) zum Beispiel durch Maßnahmen des
Bodenschutzes, aber vor allem durch Verwaltungsstrukturen,
die Wasser mit anderen betroffenen Bereichen sektorübergrei –
fend bewirtschaften;
6-6Vergrößerung des Anteils wasserverbundener Ökosysteme
(kleinräumige Maßnahmen im urbanen Raum, bis zu Feucht –
biotopen als natürliche Wasserspeicher und -reinigungseinrich –
tungen);
6-a Vorbildwirkung/Entwicklung und Forschung zu innovativen,
systemischen Ansätzen und neuen, Nature-Based Technolo –
gien;
6-bStärkung transsektorieller Zusammenarbeit, Ermächtigung der
Bewohner_innen, einen Beitrag zu einer nachhaltigen Regen –
wasserbewirtschaftung und effizienten Wassernutzung zu
leisten.
Tab. O_ 6 – 02 _ 01: Wirkung auf
die Targets von SDG 6. Quelle:
eigene Darstellung. // Tab. O_ 6 – 02 _ 01: Impact
on the targets of SDG 6. Source:
own elaboration.Target Wirkung
Optionen und Maßnahmen11Überlegungen zu möglichem Monitoring
BGB Infrastruktur muss, wie jede Infrastruktur, be –
treut werden. Dazu werden auch Daten benötigt. Da die Einrichtungen sehr
unterschiedlich sein können, sind sowohl die Betreuung als auch ein Monitoring
an die jeweiligen Einrichtungen anzupassen. Benötigte Informationen können
z. B. sein:
—Infiltrationsrate (Geschwindigkeit, mit der Wasser in den Boden eintritt), da
über die Jahre eine Verschlämmung der Oberfläche aufnahmefähiger Bo –
denspeicher möglich ist und gegebenenfalls durch Austausch der obersten
Schicht zu beheben ist;
—Gehalt und weitere Aufnahmekapazität an problematischen Stoffen, z. B.
Schwermetallen;
—Qualität von produzierten Lebensmitteln, zum Beispiel auf verbreitete Luft –
schadstoffe;
—Auswirkungen auf das lokale Klima und den Wasserhaushalt durch klein –
räumige Luft- und Oberflächentemperaturmessungen, Lysimetermessungen
und ähnliche Verfahren, um Verdunstung und Versickerung zu erfassen;
—Auswirkungen auf eventuelle Umweltbelastungen, wie zum Beispiel die
Schadstoffbelastung der Luft und die Lärmbelastung, einerseits um die Wir –
kung der Maßnahmen weiter zu belegen, andererseits, um durch Anpassun –
gen eventuelle Verbesserungen zu erreichen.
Der Erfolg der vorgeschlagenen Maßnahmen kann
an folgenden Indikatoren gemessen werden:
—Volumen an Regen-, Grau- oder Abwasser, das durch BGB Infrastruktur
nicht in einem öffentlichen Kanal abgeleitet wird;
—Volumen an Wasser, das über BGB Infrastruktur einer lokalen Weiterverwen –
dung zugeführt wird (Indikator 6.4.1);
—Fläche in ha auf die der BGB Infrastruktur zur Wasserbewirtschaftung ein –
gesetzt wird, aufgeschlüsselt nach Typ der BGB Infrastruktur (z. B. Dachbe –
grünung, urbane Landwirtschaft, Baumplanzungen als Wasserspeicher, Ver –
sickerungsrigolen, Teiche, Böden, die so bepflanzt werden, dass sie Humus
und Bodenleben anreichern etc.; Teil von Indikator 6.5.1);
—Anzahl an Städten, die konkrete Co-Development prozesse bei der Projekt –
planung von BGB Infrastruktur einsetzen (Indikator 6.b.1).
Diese Erhebungen können je Gemeinde erfolgen und für ganz Österreich aggre –
giert werden.
06_02 .3.3 Bisherige Erfahrung mit dieser Option
oder ähnlichen Optionen
In den vergangenen Jahren wurde grüne oder grün-
blaue Infrastruktur in vielen internationalen Forschungsprojekten untersucht. Die
Projekte haben sich unter anderem mit der Planung von sowie dem Übergangs –
prozess zu grüner oder blau-grüner Infrastruktur, dem Mehrfachnutzen und
relevanten Stakeholdern auseinandergesetzt (Bozovic et al. 2017; Kittel und Reil
2017; Howe et al. 2012). Die Bedeutung von Boden als Element von Nature-
Based Solutions ist erst kürzlich erkannt worden. Im Weiteren wird trotzdem
die Bezeichnung BGB Infrastruktur verwendet, auch wenn vor allem grüne oder
grün-blaue Infrastruktur untersucht wurde.
Reil et al. (2017) beschreiben zusätzlich Möglichkei –
ten der Finanzierung und Refinanzierung für BGB Infrastrukturen, wie beispiels –
06_02 / Verstärkter Einsatz Blau-Grün-Brauner Infrastruktur12weise die Besteuerung von Grundstücken bzw. Wohnraum in Abhängigkeit der
Nähe zu Grünflächen und Nutzung dieser Einnahmen zur Investition in Grün –
flächen in Bereichen der Stadt mit einem Defizit an ebendiesen. Als weitere
Möglichkeit der Finanzierung wurde die Umsatzsteuer aus Tourismus oder
Immobilien erwähnt, die von der lokalen Regierung in BGB investiert werden
kann. Nickel et al. (2014) beschreiben, welche Rahmenbedingungen zu einer
erfolgreichen Umsetzung von BGB Infrastruktur in Berlin und der Emscher-Re –
gion geführt haben. Integrierte Planung auf Einzugsgebietsebene unter Berück –
sichtigung des Mehrfachnutzens sowie finanzielle Anreize (Gebührensplitting,
direkte finanzielle Förderung) haben unter anderem zur erfolgreichen Umset –
zung beigetragen.
Die Bauordnung für Wien bietet die Möglichkeit,
Gründächer und Fassadenbegrünung in Bebauungsplänen vorzuschreiben (Wie –
ner Stadtentwicklungs-, Stadtplanungs- und Baugesetzbuch (Bauordnung für
Wien – BO für Wien, LGBl 11/1930 idF 61/2020, § 5 Abs. 4 lit. k Wr BauO 2020).
Umgesetzt wird dies jedoch nur bei Flachdächern oder bis 5 Grad geneigten
Dächern sowie bei Nebengebäuden (die Umweltberatung 2007).
Konkrete Beispiele zu diversen BGB Infrastrukturen,
also sehr unterschiedlichen Realisierungen oder Konzepten:
—Verwendung von besonders geeigneten Substraten zur Regenwasser –
speicherung: Draingarden projekte (St. Pölten, Schulstraße Herzogenburg),
Schwammstadt z. B. Graz, Eggenberger Allee, erfolgreich umgesetzte
Pflanzung von Bäumen im Zuge von Gleissanierungsarbeiten in speziellem
Substrat mit hohem Speichervermögen und hoher Kationenaustauschkapa –
zität („Pflanzenkohle“) (Stoisser 2019);
—Regenwasserbewirtschaftung Berlin Potsdamer Platz, entstanden aus einer
Vorgabe für den maximalen Regenwasserablauf von maximal 3 Liter pro
Sekunde und Hektar (l/(s.ha)) (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und
Wohnen o. J.);
—Gründächer und Fassadenbegrünungsprogramm der Stadt Wien, beispiel –
haft das Dach des Büros von GrünStattGrau, Favoritenstraße 50, 1040 Wien
sowie die Fassade des Bürohauses der MA48;
—Pilotprojekt green.Lab in Graz, Container von GrünStattGrau, mit Fassaden-
und Dachbegrünung, urbanem Garten (StadtLABOR o. J.);
—Einsatz von Pflanzenkläranlagen zur Reinigung und Bewirtschaftung von
Regenwasser, z. B. in Berlin mit vollständiger Verdunstung des Regenwas –
sers durch Schilf (Franck 2017), von gemischtem Regenwasser und Abwas –
ser in Merone, Italien ( Global Wetland Technology 2021);
—Öffnung und Renaturierung von Bächen: Aarhus Bach in Aarhus, Sihl in
Zürich, Cheonggyecheon River, Seoul (Hwang et al. 2016), Renaturierungs –
beispiele in Japan (Nakamura 2008), Renaturierung der Grazer Bäche, als
Konzept vorliegend (Kauch 2007);
—Vorgabe der Entkoppelung von Regenwasser sowie zur Begrünung von
Flachdächern in Grazer Bebauungsplänen;
—flächendeckendes Gebührensplitting in Deutschland;
—Projekte Switch (Butterworth et al. 2011), Blue Green Dream (EIT Climate-
KIC 2021) im Programm Climate Kick , beide mit Realisierungen, EdiCitNet
mit city labs in Rotterdam, Berlin und weiteren Städten zur Nutzung von
„essbarer“ BGB Infrastruktur ( Edible City Network (EdiCitNet) 2019).
Optionen und Maßnahmen1306_02 .3.4 Zeithorizont der Wirksamkeit
Je nach umgesetzten Maßnahmen kann die Option
ihre Wirkung kurz- bis langfristig entfalten. Die Einführung von Gebührensplit –
ting kann kurzfristig umgesetzt werden und die Wirkung wird sich kurz- bis mit –
telfristig einstellen. Eine Veränderung der Baugesetze, Richtlinien und Normen
zur Reduktion der Versiegelung und dem verstärkten Einsatz von BGB Infra –
struktur ist nur langfristig möglich. Die Erarbeitung von Bemessungsgrundlagen
kann sofort beginnen, wird sich aber frühestens mittelfristig auswirken, da eine
gewisse Beobachtungsdauer für die Grundlagenerarbeitung Voraussetzung ist.
Qualifizierungsangebote für Berufstätige können kurzfristig organisiert und um –
gesetzt werden und sich mittelfristig auswirken, während Lehr- und Fachausbil –
dungsangebote an Schulen und Universitäten erst langfristig eine Wirkung zei –
gen werden. Die Berücksichtigung der vielfältigen Nutzen von BGB Infrastruktur
durch gezielte Förderung und transsektorielle Planung von mehrzielorientierten
Einrichtungen ist mittel- bis langfristig zu erwarten. BGB Infrastruktur wird jetzt
schon angewendet. Ihr verstärkter Einsatz setzt die erfolgreiche Umsetzung der
hier vorgeschlagenen Maßnahmen voraus und ist daher erst mittel- bis lang –
fristig zu erwarten.
06_02 .3.5 Vergleich mit anderen Optionen, mit
denen das Ziel erreicht werden kann
Die Option BGB Infrastruktur zielt auf die Erreichung
der Targets 6.3., 6.4., 6.5., 6.6. und 6.b. ab. Target 6.3 kann auch durch andere
Maßnahmen erreicht werden, die aber nicht die Mehrzielorientierung von BGB
Infrastrukturen aufweisen. Diese sind:
—Verpflichtende Einführung von Trennsystemen;
—Ausbau von Kanalsystemen, Einführung großer Speicherkanäle, Mischwas –
serspeichern;
—Versickerung von Regenwasser über Versickerungsschächte und ähnliche
Einrichtungen an Stelle der Einleitung in Mischwasserkanäle.
Optionen im UniNEtZ, die sich teilweise überlappen, sind:
—SDG 11, Common Space : Quartiersorientierte Alltagsökonomie und Ko-Pro –
duktion inklusiver Grünräume (Option 11_16);
—SDG 13, Langfristige Sicherstellung der Wasserversorgung bei Siedlungsbe –
grünungsmaßnahmen (Option 13_03);
—SDG 15, Ökologisierung der Landnutzung – Boden (Option 15_03), berück –
sichtigt auch die Funktion des Bodens als Wasserspeicher.
06_02 .3.6 Interaktionen mit anderen SDGs
Viele Nachhaltigkeitsziele haben mit mehr Mit –
einander, auch zwischen Menschen und Natur, zu tun. Urbanität wird jedoch
teilweise als Inbegriff der Abgrenzung des Menschen von der Natur gesehen.
Der verstärkte Einsatz von BGB Infrastruktur in Städten führt zu einem neuen
Miteinander, der gegenseitigen Unterstützung zwischen Menschen und Natur.
Die geschickte Nutzung von Ökosystemdiensten, also der Einsatz von Natur für
konkrete Aufgaben in der Stadt, führt dazu, dass die Menschen die Natur auch
in der Stadt beachten und pflegen, um ihre Funktionen zu erhalten. BGB Infra –
struktur kann daher bei der zunehmenden urbanen Bevölkerung ein wichtiger
Schlüssel zu mehr Nachhaltigkeit in vielen Bereichen werden. Tab. O_6-02_02
führt einige nutzbringende Interaktionen von BGB Infrastruktur mit den anderen
SDGs auf.
06_02 / Verstärkter Einsatz Blau-Grün-Brauner Infrastruktur14SDG Interaktionen
BGB Infrastruktur erhöht die Lebensqualität in der Stadt, zumal auch
in den stark belasteten Bereichen und nutzt zumindest auch, wenn
nicht sogar besonders, den wirtschaftlich schwachen Teilen der Be –
völkerung.
Die Förderung urbanen Gartenbaus als ein wichtiges Element der
BGB Infrastruktur und die Kreislaufführung von Nährstoffen, führt zu
einer Transformation von Städten zu Orten der lokalen Produktion
von Lebensmitteln, u. a. von Gemüse und Obst. Damit liefert die Op –
tion einen Beitrag zu einer resilienten Lebensmittelversorgung und
somit zu Target 2.4.
Die Nutzung BGB Infrastruktur als IWRM Element in der Landwirt –
schaft führt zu einem geringeren Verlust an Nähr- und Schadstoffen
aus Böden, welche die Gewässer sonst schädigen. BGB Infrastruk –
turen tragen zu einer Reduktion von Bodenverlust und zu einem ver –
besserten urbanen Wasserhaushalt bei und unterstützen auch damit
die Erreichung von Target 2.4.
BGB Infrastruktur hat vielfältige Auswirkungen auf die Gesundheit
und das Wohlergehen der Bevölkerung: angenehmeres urbanes
Klima, Reduktion von Hitzetagen und Tropennächten, die sich direkt
auf die Todesrate auswirkt (Gascon et al. 2016; Laaidi et al. 2012),
Schaffung von Erholungsräumen, Erhöhung der Sicherheit durch
urbanes Grün, Förderung der physischen und mentalen Gesundheit
durch Gärtnern vor Ort (Target 3.4.), Reduktion von Luftschadstoffen
durch Filterung (Target 3.9.), Lärmreduktion (Tzoulas et al. 2007).
Mittlerweile ist die Unkenntnis der Natur und nicht zuletzt der Nutz –
pflanzen ein Bildungsproblem, das sich auch auf die Wertschätzung
und damit den Schutz der Natur, nicht zuletzt den Artenschutz, nega –
tiv auswirkt. Durch die Schaffung von BGB Räumen inklusive urba –
nem Gärtnern in unmittelbarer Nähe der städtischen Bevölkerung
kann Wissen über Naturräume und Lebensmittelproduktion besser
vermittelt werden (Unterstützung Target 4.7.). Das lässt sich auch gut
in die Schulbildung ab sehr jungem Alter integrieren.
Ausreichend lokale BGB Infrastruktur und damit Naherholungsräume
sind gerade für Familien bzw. noch immer vor allem Mütter mit Kin –
dern, ein hilfreiches Angebot. Co-Design orientierte Entwicklung von
BGB Infrastrukturprojekten trägt zur Erreichung des Target 5.5., im
Kontext zur Einbindung von Frauen in Entscheidungsprozesse, bei.
Optionen und Maßnahmen15
Durch die Nutzung von Ökosystemdiensten kann Energie, die mög –
licherweise in graue Infrastruktur, für Pumpen, Reinigung etc. fließen
würde, eingespart werden. Zusätzlich sorgt die BGB Infrastruktur
an Gebäuden sowohl für Dämmung als auch im Sommer für aktive
Kühlung und spart daher entsprechend Energie beim technischen
Heizen oder Kühlen. Durch das Angebot an attraktiver Naherholung
wird aber auch der Freizeitfluchtverkehr aus der Stadt reduziert. BGB
Infrastrukturen leisten daher einen Beitrag zur Erreichung von Target
7.3.
Durch den Einsatz von BGB Infrastruktur können neue Arbeitsplätze
für die Planung, den Bau sowie den Betrieb der BGB Infrastruktur
geschaffen werden. Dadurch kann der Anteil an Green-Jobs erhöht
werden (Target 8.5.).
Innovative BGB Infrastruktur strebt im Gegensatz zu grauer Infra –
struktur gleichzeitig viele Ziele an. Damit erhält man die Entlastung
bestehender Infrastruktur sowie höhere Flexibilität und Resilienz
dezentraler BGB im Vergleich zu grauer, meist zentraler Infrastruktur
(Targets 9.1. und 9.4.).
Gerade ärmere Schichten wohnen in Gebieten, die derzeit arm an
Natur und häufig hoch mit Schadstoffen und anderen Emissionen
(z. B. Lärm) belastet sind. BGB Lösungen würden dies verbessern
und den Unterschied zu jenen, die „im Grünen“ wohnen, verringern.
Verringerung pluvialer Überflutungen und Folgeschäden in diesen
Gebieten,
Gebührengerechtigkeit (Verursacherprinzip) Targets 10.2. und 10.3.
Viele der Aspekte von BGB Infrastruktur im urbanen Raum haben
eine direkte positive Auswirkung auf die Wohnqualität (Target 11.1.),
auf Wege für Radfahrer_innen und Fußgänger_innen und den Auf –
enthalt im öffentlichen Raum (Target 10.2.) und die Resilienz und
Nachhaltigkeit von Städten (Targets 11.3., 11.5. und 11.6.). Durch die
Vermehrung urbanen Grüns wird der Zugang zu inklusiven und zu –
gänglichen Grün- (und Wasser)flächen und (naturnahen) öffentlichen
Räumen gewährleistet (Target 11.7.). Die Integration von produktiven
Naturräumen in die Stadt zielt auch auf eine bessere Verknüpfung
von Stadt, Stadtrand und Land über die lokale Versorgung mit Le –
bensmitteln (Target 11.a.) ab.
06_02 / Verstärkter Einsatz Blau-Grün-Brauner Infrastruktur16
Ermächtigung der Bewohner_innen, durch urbanes Gärtnern als
Element der BGB Infrastruktur einen Beitrag zu einer nachhaltigen
Regenwasserbewirtschaftung und effizienten Wassernutzung und
in Verbindung mit einer kreislauforientierten Nährstoffführung auch
im Bereich Lebensmittelproduktion und Stoffstrombewirtschaftung
(Targets 12.2. und 12.4.) zu leisten; Wertschätzung von Lebensmit –
teln durch urbanes Gärtnern und damit Reduktion von Lebensmittel –
abfällen (Target 12.3.); Co-Design als Prozesse als Bestandteil der
Entwicklung von BGB Infrastrukturprojekten im urbanen Raum tragen
dazu bei, dass in den Städten ein Bewusstsein für kreislauforientierte
Konzepte in der Siedlungswasserwirtschaft geschaffen werden und
unterstützen somit die Erreichung von Target 12.8.
Durch BGB Infrastruktur steigt zum Ersten die Resilienz gegen die
Auswirkungen des Klimawandels (Target 13.1.), wie häufigere und
verstärkte Extremereignisse, höhere Temperaturen und geänderte
Niederschlagsmuster. Zum Zweiten können lokale Änderungen, wie
urbane Hitzeinseln, dadurch möglicherweise verstärkt auftretende
Gewitter und daraus resultierende ganz lokale Starkregen reduziert
werden. Letztlich kann durch die Verbesserung des lokalen Wasser –
haushalts, der zwei Drittel des Niederschlags über Land ausmacht,
möglicherweise auch ein regionaler Ausgleich von Temperatur- und
Niederschlagsextremen erreicht werden. Darauf deuten Arbeiten zum
Beispiel von Procházka et al. (2001) und Kravčík (2009).
BGB Infrastruktur zielt auch auf die Reduktion des Nähr- und Schad –
stoffaustrags aus Städten in Gewässer und damit Immissionen in
Mündungsgebiete von Flüssen (Targets 14.1. und 14.2.) ab.
Blaue Infrastruktur renaturiert und schafft neue urbane Gewässer
und Feuchtgebiete (Target 15.1.), Braune Infrastruktur – Boden –
wasserspeicher – renaturieren Industriebrachen und schützen noch
vorhandene Böden mit ihrer Biodiversität (Target 15.3.), BGB Infra –
struktur bietet wertvolle Rückzugsräume für viele gefährdete Lebe –
wesen (Target 15.5.). Der blaue Teil der BGB Infrastruktur bietet neue
Lebensräume für wassergebundene Lebewesen bzw. schafft bei
geeigneter Planung durchgehende Korridore für diese (Target 15.5.),
die Nutzung von Ökosystemdiensten erlaubt deren Festschreibung in
nationalen und regionalen Förder- und Baurichtlinien (15.9.).
Grüne und blaue Infrastrukturen im urbanen Bereich führen nach –
weislich zu weniger Stress, Konflikten, psychischen Problemen und
Drogenmissbrauch (Engemann et al. 2019) (Target 16.1.).
Optionen und Maßnahmen17
Die Nutzung von Ökosystemdiensten für die Verbesserung der Be –
wirtschaftung von Wasser, aber auch von Boden und Pflanzennähr –
stoffen, durch BGB Infrastruktur ist eine Maßnahme, die typischer –
weise die Trennung zwischen einzelnen SDGs, Disziplinen und
Sektoren der Umsetzung durchbricht und zu einem hohen Maß an
Integration vieler Aspekte, sowohl im städtischen als auch ländlichen
Raum, führen kann, wenn dies entsprechend zugelassen bzw. ge –
fördert wird.
06_02 .3.7 Offene Forschungsfragen
Die folgenden Aufgaben der Forschung werden als
entscheidend für die weite Verbreitung von BGB Infrastruktur gesehen:
— Grundlagenerhebung zu Wasserbedarf und Verdunstungsleistung von
Pflanzen in der Stadt, auch wenn dazu seit kurzem ein Projekt in Öster –
reich und eines in Deutschland im Laufen ist: Die Grundlagenerhebung
zu Wasserbedarf und Verdunstungsleistung von Pflanzen sind nötig, um
darauf aufbauend entsprechende Planungsgrundlagen abzuleiten. Kluge et
al. (2020) beschreiben beispielsweise, dass für die Kühlleistung von Fas –
sadenbegrünung bereits einige Studien vorliegen, über die Verdunstungs –
leistung dieser BGB Infrastrukturen jedoch nur wenig bekannt ist. In den
letzten Jahren wurden vereinzelte Messkampagnen, wie beispielsweise
Lysimeterversuche an Stadtbäumen und Fassadenbegrünungen, gestartet
(Murer et al. 2020; Kluge et al. 2020). Kluge et al. (2020) lehnten die von
ihnen betriebene Versuchsanlage zur Verdunstungsmessung an eine der
ersten je durchgeführten Stadtbaumlysimeterversuche von Hoelscher et al.
(2016) an. Allerdings weisen sie darauf hin, dass das von Hoelscher et al.
(2016) vorgeschlagene Messverfahren zwar gut, aber sehr komplex ist und
weiterer Forschungsbedarf bei der Entwicklung geeigneten Messsysteme für
Langzeitbeobachtungen von Stadtbäumen und Fassadenbegrünung besteht.
Kluge et al. (2020) konnten nach einer Vegetationsperiode noch keine validen
planungsrelevanten Aussagen zur Verdunstung von BGB Infrastrukturen
treffen. Unbeantwortet blieb bislang u.a. was bei der Planung von BGB Infra –
strukturen beachtet werden muss, um eine besonders hohe Baumvitalität und
Verdunstung zu erreichen.
— Untersuchungen zur Koexistenz von technischer unterirdischer Infrastruk –
tur und BGB Infrastruktur fehlen: Auch die Koexistenz zwischen unter –
irdischer technischer Infrastruktur wie Schmutzwasserkanalisation, Trink –
wasser-, Gas- oder Fernwärmeleitungen und BGB Infrastrukturen (Stichwort
„Schwammstadt“ bzw. „Stockholmsystem“) ist bisher nur wenig erforscht.
Stelzl (2019) hat beispielsweise ein Boden-Rohr-System entworfen und unter –
sucht, inwiefern Substrate, die für ein optimales Pflanzenwachstum geeignet
sind, auch den Belastungsanforderungen von Straßen bzw. Geh- und Rad –
wegen sowie der eingebauten unterirdischen Infrastruktur genügen. Stelzl
(2019) zeigt dabei auf, dass es zwar Untersuchungen zur Belastbarkeit unter –
schiedlicher Substrate gibt (z. B. Rahman et al. 2017), jedoch bislang keine
Versuchsanlagen existieren in denen die Koexistenz zwischen Baum, Rohr Tab. O_6-02_02: Interaktionen
mit anderen SDGs. Quelle:
eigene Darstellung. // Tab. O_6-02_02: Interactions
with other SDGs. Source: own
elaboration.
06_02 / Verstärkter Einsatz Blau-Grün-Brauner Infrastruktur18und Funktion der Oberfläche (befahren, begehen, …) untersucht wurde. Ob
eine strikte Trennung, beispielsweise durch Vliese, zwischen Rohrinfrastruk –
tur und durchwurzelbarem Bodenkörper erforderlich ist oder ob der Einsatz
geeigneter Rohrwerkstoffe ausreicht ist eine der hier offenen Forschungsfra –
gen. Zusätzlich kaum erforscht ist welche Substrate sowohl für ein optimales
Baumwachstum, die Speicherung und Reinigung von Niederschlagswasser
als auch für die Befahrung der Oberfläche geeignet sind. Bislang wird in
den in Österreich umgesetzten Projekten (z. B. Eggenberger Allee Graz;
Stoisser 2019) eine strikte Trennung zwischen dem für Wurzelwachstum und
Niederschlagswasserspeicherung vorgesehenen Substrat und der befah –
renen Oberfläche sowie der Leitungstrasse, vorgenommen. Im Sinne einer
Transformation von grauen Infrastrukturen (Misch- und Regenwasserkanäle)
zu einem verstärkten Einsatz von BGB Infrastrukturen ist jedoch die Nut –
zung eines möglichst hohen Anteiles des Bodenraumes unter Straßen bzw.
Plätzen, zumindest für den Zweck der Niederschlagswasserspeicherung, von
Interesse;
— Eine weitere, identifizierte offene Forschungsfrage betrifft die Bewertung
des multiplen Nutzens der BGB Infrastruktur: Der multiple Nutzen von BGB
Infrastruktur kann durch die aktuell meist eingesetzte quantitative Kosten-
Nutzenanalyse nicht ausreichend dargestellt werden. Methoden wie Multikri –
terielle und Multistakeholder _innen Entscheidungsanalyse (MCDA) (Zyoud
und Fuchs-Hanusch 2019) oder Game Based Design sind besser geeignet
den vielfältigen Nutzen, wie Kühlung, Wasserspeicherung, Erhohlungswert, …
zu bewerten. Dies müsste aber für die Mehrzielplanung von BGB Infrastruk –
tur noch besser untersucht werden;
— Geeignete Strukturen und Werkzeuge für transsektorielle Zusammen –
arbeit bei Planung und Umsetzung von Projekten: Ein von den Autor_innen
über Gespräche mit betroffenen Stakeholder_innen identifiziertes Hinder –
nis bei der Umsetzung von BGB Infrastrukturen sind fehlende Strukturen
zur besseren transsektoriellen Zusammenarbeit. Wie die Schaffung solcher
Strukturen erreicht werden kann und welche Werkzeuge für eine bessere
transsektorielle Zusammenarbeit bei Planung und Umsetzung von BGB Infra –
strukturen geeignet sind, ist eine weitere offene Frage;
— Lehr- und Ausbildungscurricula und Material zur anschaulichen Vermitt –
lung von Aufgabe und Nutzen von BGB Infrastruktur: Um BGB Infrastruk –
turen in der Bildung anschaulich zu vermitteln, fehlen zudem entsprechende
Lehr- und Ausbildungscurricula. Zusätzlich fehlt es an Material zur anschauli –
chen Vermittlung von Aufgabe und Nutzen der BGB Infrastruktur. Zur Vermitt –
lung von Grundlagen der Rohrhydraulik bzw. der Trinkwasserversorgung wird
beispielsweise das Spiel ( Aqualibrium Competition 2021) in Schulen sowie in
der universitären Lehre (UCI Kapstadt, TU Graz, Univ. Exeter, University of
Ceará Brasilien, University of Auckland …) seit Jahren erfolgreich eingesetzt
und könnte als Vorbild dienen das Thema BGB Infrastruktur einem breiteren
Publikum zugänglich zu machen.
Optionen und Maßnahmen19Literatur
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