SDG_03_Option_03_04_pdf_20231119_182343.txt

Optionen
und
Maßnahmen
Österreichs Handlungsoptionen
zur Umsetzung
der UN-Agenda 2030
für eine lebenswerte Zukunft.
UniNEtZ –
Universitäten und Nachhaltige
Entwicklungsziele
Optionen und Maßnahmen
03_04 / Systematische und systemische Berücksichtigung von Gesundheitsauswirkungen bei allen
Entscheidungen Zeit- und zukunftsgemäße Präventionsprozesse und -strukturen03_04
Target 3.4Autor:
Fuchsig, Heinz ( Österreichische Ärztekammer ); Mair,
Katharina ( Medizinische Universität Wien, Studentin)Systematische und systemische Berück –
sichtigung von Gesundheitsauswirkungen
bei allen Entscheidungen Zeit- und
zukunftsgemäße Präventionsprozesse
und -strukturen
3 Abbildungsverzeichnis
3 Tabellenverzeichnis
4 03_04 .1 Ziele der Option
4 03_04 .2 Hintergrund der Option
6 03_04 .3 Optionenbeschreibung
6 03_04 .3.1 Beschreibung der Option bzw. der zugehörigen Maßnahmen
bzw. Maßnahmenkombinationen
7 03_04 .3.2 Erwartete Wirkweise
8 03_04 .3.3 Bisherige Erfahrungen mit dieser Option oder ähnlichen Optionen
9 03_04 .3.4 Zeithorizont der Wirksamkeit
9 03_04 .3.5 Vergleich mit anderen Optionen,
mit denen das Ziel erreicht werden kann
10 03_04 .3.6 Interaktionen mit anderen Optionen
12 03_04.3.7 Offene Forschungsfragen
12 LiteraturInhalt
Optionen und Maßnahmen3Abbildungsverzeichnis
Abb. 03_04-01 : Prob –
lemwandel während der
Arbeitsunfähigkeit – aus
Sicht des Kranken (e.V.).
//Fig. 03_04-01 : Problem –
flux during inability to
work – from the viewpoint
of the ill(e.V.).5Tabellen verzeichnis
Tab. 03_04-01 : Interaktio –
nen mit anderen Optionen
//Tab. 03_04-01 : Interac –
tions with other options10
03_04 / Systematische und systemische Berücksichtigung von Gesundheitsauswirkungen bei allen
Entscheidungen Zeit- und zukunftsgemäße Präventionsprozesse und -strukturen403_04.1 Ziele der Option
Österreich braucht zur Erhöhung der Zahl gesunder
Lebensjahre eine systematische Prävention und ein systemisches Verständnis in
der Prävention. Ziel ist es, Beiträge zu beidem zu liefern und regionale, demografi –
sche, thematische und strukturelle Flecken auf der Präventionslandkarte kleiner zu
machen. Doppelgleisigkeiten, Gießkannenprinzip und anschlusslose Prävention
ohne Früherkennung und Nachbetreuung sollte die Ausnahme werden. Anderer –
seits kann Präzisionsprävention gesundes Verhalten und das Schaffen gesunder
Verhältnisse erleichtern, die Zielgruppen besser erreichen und damit gesundes
Verhalten für jede _n attraktiver werden.
Vorgeschlagenes Motto: 5 gesunde Jahre mehr . Der
Österreichschnitt im Vergleich zu Tirol ist fünf Jahre weniger; selbst in Tirol be –
wegen sich 2/3 unter dem Maß, das für die Gesundheit empfohlen wird. Besser als
Tirol – wo die Bewohner_innen mit rund 71 gesunden Lebensjahren rechnen dürfen
– ist in der EU nur Schweden mit 72 gesunden Lebensjahren.
03_04.2 Hintergrund der Option
Österreich liegt bei der Bettendichte in
Krankenhäusern auf Platz zwei in Europa nach Deutschland, aber im unteren Mit –
telfeld der EU bei den Präventionsausgaben (BMS 2012, Das österreichische Ge –
sundheitswesen im internationalen Vergleich). Die Präventionsausgaben belaufen
sich im Schnitt der letzten Jahre (Statistik Austria, 2020) auf 6 % der staatlichen
und knapp 0,5 % der privaten Ausgaben für Gesundheit. Knapp 2/3 dieser Ausga –
ben fließen in Kuren und Rehabilitationen, also in Tertiärprävention (Bundesminis –
terium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK), 2019).
Die Teilnahme an der Gesundenuntersuchung stieg
seit 1990 von unter 5 % auf nunmehr knapp 12 % (Statistik Austria, 2020a). Spezi –
fische Untersuchungen wie Mammographien oder Colonoskopien werden besser
angenommen, aber 1/3 der über 60-Jährigen hat noch nie eine Colo machen
lassen. Es ist zu befürchten, dass Personen mit gefährdendem Lebensstil unterre –
präsentiert sind (spiegelbildlich zum Matthäus-Effekt in der Gesundheitsförderung:
wer hat, dem wird gegeben ). Eine Erhöhung der Anteilnahme von Risikogruppen
an diesen Untersuchungen sowie eine Steigerung der didaktischen Wirksamkeit
der Gesundenuntersuchung sind dringlich.
Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA ) als
größte Präventionseinrichtung mit der längsten Erfahrung wurde und wird ein –
geschränkt auf die Kernaufgaben der Verhütung von Arbeits- und Schulunfällen
und Berufskrankheiten. Wie früher und auch heute noch durchgeführte Aufgaben
(Verhütung berufsbedingter Erkrankungen wie Muskel-Skelett-Beschwerden oder
Hautkrebs) und neue Aufgaben wie Wiedereingliederung, altersgerechtes Arbeiten
mit ergonomischen Schwerpunkten (einzigartig in Österreich) gezeigt haben, ist
Kompetenz für viel mehr vorhanden. Die schweizer Schwester SUVA berät sowohl
in der Vermeidung berufsbezogener Beschwerden als auch im Rahmen der Verhü –
tung von Freizeitunfällen und in der Wiedereingliederung ( Absenzenmanagement ).
Das KfV (Kuratorium für Verkehrssicherheit ) und Sicherheitsvereine der Bundes –
länder etc. bekommen zwar Subventionen von der AUVA , aber nur wenig Know –
how, das in beide Richtungen befruchten könnte.
Optionen und Maßnahmen5
Abb. 03_04-01 : Problemwandel
während der Arbeitsunfähigkeit – aus
Sicht des Kranken (e.V.). //Fig. 03_04-01: Problemflux during
inability to work – from the viewpoint
of the ill(e.V.).Arbeitsbedingte Erkrankungen fordern über 80 %
der Folgekosten arbeitsbedingter Schäden – für 2015 mit 9,9 Mrd. € berechnet
(Leoni, WIFO, Fehlzeitenreport, 2019) . Während dessen verursachen Arbeitsunfälle
inzwischen weniger als 20 % dieser Kosten. Profitabler wäre es, die Prävention von
arbeitsbedingten Schäden und Freizeitunfällen mit einem gesetzlichen Auftrag zu ver –
sehen und der AUVA auch bei der Wiedereingliederung erneut eine tragende Rolle
zu geben.
Frühere Lösungen bei absehbar schwierigen Verläu –
fen: Fit2work -Personenberatung ist zwar ein etabliertes Mittel in der Tertiärprä –
vention bei schweren Erkrankungen, greift aber sehr spät (i. d. R. nach 40 Tagen
Krankenstand, daher ist in beinahe 50 % der Fälle bereits die Arbeit verloren).
Auch die Motivation auf allen Seiten, Kolleg_innen auf ihrem herausfordernden,
aber gangbaren Weg zurück zu helfen, ist dann oft stark getrübt. Nach ca. sechs
Wochen überwiegen zudem psychosoziale Probleme gegenüber medizinischen
Problemen durch schwere Erkrankungen und Unfälle. Eine Kampagne zu frühem
Handeln bei absehbaren Problemen könnte Abhilfe schaffen.
03_04 / Systematische und systemische Berücksichtigung von Gesundheitsauswirkungen bei allen
Entscheidungen Zeit- und zukunftsgemäße Präventionsprozesse und -strukturenPublic Health ist thematisch in Österreichs
Universitäten besser vertreten als noch vor 30 Jahren, insgesamt aber noch un –
zureichend. Präventive Fächer wie Arbeits- und Umweltmedizin gibt es nur in der
Medizinischen Universität Wien und in zwei Universitäten als freiwillige Wahlfächer
– als eigenständige Institute aber österreichweit nicht vorhanden. In Bereich der
Privatuniversitäten gibt es an der Paracelsus Medizinische Privatuniversität ( PMU ),
Donau Universität Krems und der Sigmund Freud Privatuniversität ( SFU ) eine Be –
schäftigung mit Teilbereichen der Prävention.
Wie Corona gezeigt hat, ist eine Einbindung der brei –
ten volksgesundheitlichen Perspektive (z. B. Kommunikation, realistische Einschät –
zung der Wirksamkeit von Verhaltensmaßnahmen, Thematisierung und Handeln
bzgl. Kollateralschäden und -nutzen) enorm wichtig.
03_04.3 Optionenbeschreibung
03_04 .3.1 Beschreibung der Option
bzw. der zugehörigen Maßnahmen
bzw. Maßnahmenkombinationen
1. HIA (Mainstreaming-Ansatz) – ökosozial-VITALE-Marktwirtschaft , Einberechnung
gesundheitlicher Kosten / Nutzen in Gesetze etc. bedeuten auch eine Stärkung
der IMAG (interministerielle Arbeitsgruppe); Beispiel EAG : Bei Ersatz von Ver –
brennungsöfen und -motoren durch strombetriebene Motoren und Wärmequellen
wäre ein Gewinn von annähernd zwei gesunden Lebensjahren möglich (vorwie –
gend durch Feinstaubreduktion, aber auch durch die starke Reduktion des Gene –
ralstressors Lärm). Laut Entwurf gab es keine gesundheitlichen Auswirkungen!
2. Präventionslandkarte ohne weiße Flecken und Doppelförderungen, Definition
der best-points-of-service , langfristige und zuverlässige Finanzierung aus Be –
steuerung von schädigendem Verhalten (Fett, Rauchen, Autofahren: sitting kills
– sitting in a car kills twice1).
3. Aufbau einer Vernetzung, Vor- und Nachbetreuung: Kuren und Reha greifen
oft spät und wirken zu wenig nach. Von Alkoholprogrammen wissen wir, dass
eine Teilnahme in betreuten Selbsthilfegruppen für zwei Jahre die Rate dauer –
hafter Abstinenz deutlich erhöht (GÖG, Handbuch Alkohol, 2020). Also ist die
Zusammenarbeit mit SHG´s, mit weiter betreuenden Allgemein-, Fach- und
Betriebsärzt_innen (die mit schriftlicher Befreiung von der Schweigepflicht sehr
viel für eine erfolgreiche Reintegration ins Unternehmen tun können) ebenso
von Bedeutung, wie das PVA-Projekt Jobreha weiterzuführen und auszubauen.
Generell wirken Maßnahmen, die an das Verhalten von ganzen Gruppen (social
support & control) sowie Verhältnissen (gebauten und gelebten – z. B. Führung)
ansetzen, deutlich besser (Barthelmes, Bödeker, Sörensen, Kleinlercher & Odoy,
2019).
Frühere Inanspruchnahme von Beratungsstellen (https://www.beratungsstellen.
at) durch klare Empfehlungen an Betriebe, auch bezüglich des WIEs (z. B. eine
Neuauflage von psychosoziale Krisen in Unternehmen , einem Praxishandbuch
für Führungskräfte (leider Stand 2006), welches in keinem Betrieb fehlen sollte.
Eine Neuauflage und Überarbeitung durch das Sozialministeriumsservice mit ex –
ternen Autor_innen und breiter Versand an Betriebe, Arbeitsmediziner_innen,
61 Zusätzlich zu den bekannten Effekten des wenig bewegten Sitzens kommt hier noch
Zwangshaltung und die höchste Schadstoffbelastung aller Messorte (Folge: 3,6-fach erhöhtes
Herzinfarktrisiko in der Stunde danach (Peters et al.), sowie ein zeitweiser Stresspegel wie im
Kampfflieger).
Optionen und MaßnahmenBetriebsrät_innen etc.). 2/3 der über 50-Jährigen hatten in den letzten fünf
Jahren eine schwere Krise sowie 1/3 der unter 30-Jährigen (Badura et al,
Fehlzeiten-Report 2018). Ähnliches ist für den Schulbereich denkbar.
4. Die SUVA (Schweizer Unfallversicherungsanstalt ) betreibt erfolgreich auch Prä –
vention in den Bereichen arbeitsbedingter Krankenstände, Freizeitunfälle, Um –
gang mit Langzeitkrankenständen – mit hoher Zustimmung der Unternehmer_in –
nen; Konzepterstellung für die AUVA , Entlastung von wesensfremden Aufgaben
wie EFZ.
5. Integration der Salutogenese in die Bildung auf allen Ebenen; Schulen, Museen
(als Beispiel gilt das NHM Berlin – open knowledge , Hauptbesuchergruppen sind
inzwischen junge Erwachsene (!) – Wanderausstellung durch unseren Körper
etc.); Achtung die Interaktion / Beziehungs-bedingtheit von Gesundheit ausrei –
chend darstellen! Planetary health ist ein Schlüsselbegriff! Joh. Vogel, Dir. NHM
Berlin); Beobachtung der eigenen Natur in ursprünglicher Natur und Kunst auch
in den Tourismus einbauen etc.
6. Ausrichtung der nötigen großen Transformationen (Steuern, the green recovery ,
the great reset ) auch im Bereich Gesundheit.
7. Frühe Hilfe durch Stufenpläne: Erstellung einer Strategie zur Kommunikation und
konstruktivem Handeln bei absehbaren Gesundheitsproblemen am Arbeitsplatz
und in der Schule.
8. Strategie zur Präzisionsprävention auch unter Einbeziehung von PHC ´s (Prä-
ventionsassistenz , siehe auch 2.); generell ist das Aufdecken von Risikofaktoren
– auch durch Erkrankungen! – ein best-point-of-service . Wenn die Umstellung
nicht unbedingt sofort, sondern zu einem geeigneten Zeitpunkt (erläutern!) ge –
schieht: Beispiel: Raucher, Arzt rät, den nächsten starken Moment / Phase für
den Ausstieg zu nutzen. Der Raucher spürt bald darauf: jetzt ist der Moment
gekommen. Nebenwirkung: der Fokus wird auf starke Momente gelegt, statt auf
Hinderungsgründe.
9. Der steigenden Sehnsucht nach Natur, Ursprünglichkeit und Authentizität könnte
mit PR für Biophilie entsprochen werden. Der Mensch (egal welcher Herkunft
und Ausrichtung) hat physiologische, psychische und soziale Grundbedürfnisse.
Ein Beispiel: dauerndes Verweilen in der Komfortzone macht krank. Menschen
zahlen dafür, sich unerträglichen Temperaturen über 80°C in der Sauna aus –
zusetzen. Einatmen kalter Luft stärkt die Durchblutung des Rachenringes, des
primären Abwehrsystems für Luft und Speisewege. Wir haben einen Bewegun –
gapparat und einen Stoffwechsel. Ohne psychosoziale Herausforderungen ent –
wickeln wir uns nur langsam ( ist der Tag / Mitarbeiter nicht Dein Freund, so ist er
dein Lehrer ; never waste a good crisis ).
10. Nutzung der Vermittlung von Kultur und Sport zur Vermittlung von Gesund –
heitsförderung. Ausschreibung eines Kulturwettbewerbes zum Thema Wohl –
befinden und Lebensgenussfähigkeit. Voraussetzung dafür muss sein, dass die
Angebote Ungleichheit verringern und nicht verstärken: vor allem keine finanziel –
len Barrieren.
11. Fächerübergreifende Aus- und Fortbildung in planetarer und menschlicher
Gesundheit überall integrieren, z. B. in Sportstudium, Umweltstudien, Ernäh –
rungsdiplomen etc.
03_04 .3.2 Erwartete Wirkungsweise
Wie im Bericht Prioritizing health (Remes et al., 2020)
berechnet, ist ein enormer wirtschaftlicher Fortschritt mit Fokus auf Gesundheit,
vor allem auf Prävention (über 70 % der erzielbaren 14.000 Mrd. $ GDP pro Jahr
7
03_04 / Systematische und systemische Berücksichtigung von Gesundheitsauswirkungen bei allen
Entscheidungen Zeit- und zukunftsgemäße Präventionsprozesse und -strukturen2040) möglich. Herausgegriffen sei Diabetes, der jährlich 4 Mrd. € in Österreich
kostet und aufgrund der Demographie, Bewegungsarmut und Fehlernährung brei –
ter Kreise deutlich im Steigen begriffen ist.
Alltagsbewegung kann die Diabetesrate halbieren;
gesunde Ernährung und gelegentliches Fasten (schon nächtliche Kaloriendefizite)
würden vermutlich eine weitere Halbierung bringen. Damit diese Verhaltensvor –
schläge angenommen werden, ist ein die Gesamtheit betreffendes Vorgehen nötig
und eine Bearbeitung der Settings – wie in der Ottawa-Charta gefordert.
Eine Fokussierung auf salutogene – gesundheitsför –
dernde – Maßnahmen und Potentiale kann begeistern statt bedrücken, man spricht
auch von Froh-Medizin statt Droh-Medizin. Das ist insbesondere nach einer bedrü –
ckenden Pandemie mit allen ihren Folgen wichtig.
Ein guter Umgang mit Gesundheitsproblemen führt
zu hoher Loyalität der „Problemfälle“ in Betrieben – vermutlich auch Schulen – und
öffnet Türen für Primärprävention. Ein Beispiel: Porsche führte 1992 ein Alkohol –
programm ein. Bis 2002 wurden von 10.000 Mitarbeiter_innen in Stuttgart 303 in
das Programm gebracht (d. h. zur Annahme von Beratung durch steigenden Druck
gezwungen). 292 der Betroffenen konnten anschließend weiter beschäftigt werden.
Autos von Porsche haben langfristig am wenigsten Pannen. Bereits 1999 hatten
alle 250 größten deutschen Betriebe ein Alkoholprogramm, allerdings nur rund die
Hälfte davon ein aktives.
03_04 .3.3 Bisherige Erfahrungen mit dieser
Option oder ähnlichen Optionen
Konzertiertes Handeln in der Prävention hat sich be –
reits in der Karelien-Studie (1972 – 2012, lt. Dachverband der SV Österreichs 2021)
als höchst wirksam erwiesen: Die Sterblichkeit an Herzerkrankungen konnte in 40
Jahren um 82 % (m) bzw. 84 % (f) reduziert werden, die Lebenserwartung stieg um
sieben Jahre. Erfolgsrezept war Handeln auf vielen Ebenen ( settings ), sowie in den
Worten der Leiterin: „ Das Projekt beherzigt zwei Maximen: Das direkte Gespräch
suchen und gemeinsame Interessen finden .“ Von der Pflanzung von geeigne –
tem Raps im hohen Norden, Drittelung des Fettgehalts in der beliebtesten Wurst,
Verbot von Werbung für Tabak und Alkohol sowie Wettbewerben zur Senkung von
Cholesterin wurde vieles unternommen.
Die Schwerpunktbetriebsbetreuung der AUVA , die Be –
triebe mit besonders hoher Unfallrate gezielt berät (statt allen Beratungswünschen
der ohnehin sehr sicher handelnden Elite nachzugeben) wurde mit einem ROI von
2,34 bewertet (Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA), 2020).
Zahlreiche Studien führen den Erfolg gut gemachter
Prävention vom Kindergarten bis bei über 90-Jährigen vor Augen. Entscheidend ist
die Art der Einbindung der Individuen; ebenso entscheidend für mehr Gesundheit
wird aber auch eine Reduktion der Ungleichheit sein, die bekanntermaßen krank –
macht. Zahlreiche Risikofaktoren verschlechtern sich bei fehlender Anerkennung
(Siegrist & Li, 2017). Berühmtheit diesbezüglich erhielt u.a. die Whitehall -Studie.
8
Optionen und Maßnahmen03_04 .3.4 Zeithorizont der Wirksamkeit
Kurzfristig
Prävention, die spürbar wird, wirkt sofort. Ob das ein
gesundes Essen ist oder ein Spaziergang im Wald, ein klärendes Gespräch unter
Partner_innen oder Firmenangehörigen. Es gibt eine Menge quick wins , die auch
die Motivation zum Durchhalten erst langfristig wirksam werdender Maßnahmen
bringen können.
Umso wichtiger ist es, dass Prävention frühzeitig
beginnt. Der Ausbau des betrieblichen Gesundheitsmanagements kann z. B. kurz –
fristig dazu beitragen, dass es zu weniger Krankenständen kommt und langfristig,
dass die Zahl der gesunden Lebensjahre erhöht wird.
Der Wirksamkeitsnachweis von präventiven Maßnah –
men ist – abgesehen von Fragebogenerhebungen – meist nur langfristig und popu –
lationsbezogen möglich. Je länger die Latenzzeit einer Erkrankung ist, je länger
Schadstoffe in der Nahrungskette verbleiben, je träger ein System auf Störungen
reagiert (wie z. B. Klimawandel), umso langfristiger müssen die Bemühungen sein
und umso schwieriger ist die Zurückführung eines Erfolges auf einzelne Maßnah –
men.
03_04 .3.5 Vergleich mit anderen Optionen,
mit denen das Ziel erreicht werden kann
Die in 3.4. Option 1., 2. und 3. genannten Optionen
und deren Maßnahmen sind einzeln nur begrenzt wirksam. Kombinierte Aktionen
haben sich als günstiger erwiesen und erlauben das Wachsen einer insgesamt
präventiven Kultur, die sich durch alle Dinge zieht, wie das wohl berühmteste Bei –
spiel der Nord-Karelien-Studie zeigt (Puska, 2004).
Theoretisch wäre das Ziel dieser Option daher durch
die Optionen 3.4_01 und 3.4_02 zu erreichen; in der Praxis ist der Effekt viel
größer, wenn nicht nur 1., 2. und 4. kombiniert werden, sondern durch die Option
3 (psychosoziale Gesundheit fördern ) auch die Motivation und Fähigkeit jener, die
nicht durch Begeisterungsfähigkeit und umfassende Resilienz glänzen, gehoben
werden kann.
9
03_04 / Systematische und systemische Berücksichtigung von Gesundheitsauswirkungen bei allen
Entscheidungen Zeit- und zukunftsgemäße Präventionsprozesse und -strukturen
„Armut macht krank “ ist nicht nur ein Schlagwort. Praktisch alle Diagnosen sind unter Arbeits –
losen doppelt so häufig vertreten – ob als Folge oder Ursache der Arbeitslosigkeit.
Fehlernährung stellt mit Bewegungsarmut die höchste burden of disease in Österreich.
Bildung ist nicht nur mit health literacy verbunden, bei der Österreich schlecht abschneidet
(3-5 % höhere Behandlungskosten, schlechterer Output bei schlechter hl ). Gesundheit und
Bildung bewegen sich nahezu parallel – in Wien mit 13 bzw. 16 Jahren mehr Lebenserwartung
bei Uniabsolvent_innen.
Der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen ist immer noch unterschiedlich. Frauen leiden
unter Krankheiten wie mentalen Problemen, Arthrose oder Schlaganfall häufiger als Männer,
Prävention muss also divers agieren, Präzisionsprävention nicht nur bei Frauen- und Männer –
krankheiten.
Sauberes Wasser und sanitäre Versorgung ist in Österreich fast selbstverständlich. Der Klima –
wandel wird das allerdings erschweren.
Reduktion des Energieverbrauchs und damit leichtere Umsetzung der Energiewende bei Re –
duktion von fossiler Energie. Erhöhtes Komfortempfinden bei Hitze bei Ausdauertrainierten.
Erhöhte Selbstakzeptanz und besseres Körperschema bei weniger Übergewicht und mehr
Sport. Sauberere Luft und weniger Lärm in Arbeitsstätten durch Umstellung auf elektrische
Öfen, Maschinen etc.
Weniger politische und finanzielle Abhängigkeit von Lieferant_innen fossiler Energien (arabi –
scher Raum, Russland), sowie von Futtermittelimporten. Förderung des Kleinhandwerks durch
regionale Reparaturzentren sowie Besteuerung des Ressourcenverbrauchs und Entlastung des
Faktors Arbeit. Etablierung Österreichs als sicheres und gesundes Tourismusland durch nach –
haltigen Tourismus.
Verringerte Energieimporte schützen den globalen Süden vor hohen Ölpreisen. Technologie –
transfer in der Umwelttechnik reduzieren die Schadstoffbelastung und erlauben vielerorts
Leapfrogging (überspringen schmutziger Technologien). Ungleichheit ist ein starker Risikofaktor
für Freiheit und Gesundheit aller (!) Gruppen ( gated communities sind zumindest für Kinder ein
Gefängnis).
Bewegungsräume schaffen und Verkehrsflächen für den MIV zu reduzieren, erlaubt mehr Rad-
und Fußverkehr, soziale Interaktion und Begrünung der Städte, was wiederum Kriminalität
senkt. Das ist eine Spirale nach oben, in Wien sind die Radunfälle pro Mio. km auf 20 % seit
2002 zurückgegangen. Orte sind gebaute Prävention oder gebaute Gesundheitsschäden.
Bei der ersten Nutzung ist die Abgabe von Chemikalien am höchsten (Kleidung, Plastik etc).
Wir haben es beispielsweise in der Hand, bei Elektroautos auf Qualität und Langlebigkeit (>1
Mio. km, > 20 Jahre Nutzung) zu achten, das Potential ist bereits 2021 verfügbar. Ein acht –
samer Gebrauch ist vermutlich auch mit insgesamt mehr Achtsamkeit verbunden. Die erfolg –
reichste Stressbewältigungsmethode ist MBSR – mindful based stress reduction.03_04.3.6 Interaktionen mit anderen Optionen
10
Optionen und Maßnahmen
Gesundheitsschutz und Klimaschutz gehen Hand in Hand. Wird im Globalen Süden klar, dass
die Gesundheit der Kinder nur durch Auswanderung erhalten werden kann, wird es enorme
Fluchtbewegungen geben. 2070 werden 1,5 – 3 Milliarden Menschen in Gegenden leben, in
denen die Kühlgrenztemperatur zeitweise überschritten sein wird. Ein Aufenthalt im Freien über
6 Stunden ist dann nicht mit dem Leben vereinbar. Die Schwelle für schweres Arbeiten oder an –
gestrengte Bewegung liegt um 7°C tiefer. Maß halten in Ernährung, Bewegung und Konsum ist
vermutlich die goldene Regel für unsere eigene Natur und die Erhaltung des Planeten.
Mikroplastik geht auch über Österreichs Flüsse in die Meere, sowie unser Ruß zur Abschmel –
zung der Eisdecken und damit Reduktion der Albedo führt. Nachhaltiger Fischkonsum in
Österreich bedeutet mehr Konsum von heimischem Karpfen und Co. Und wäre gesundheitlich
wertvoll. Mehr Windkraft bedeutet mehr Eigenstromversorgung im Winter und damit weniger
Import von Kohlestrom – der Hauptursache für Quecksilberemissionen in Europa. Fisch ist die
größte Quelle der Aufnahme von Quecksilber für den Menschen.
Biodiverse Wälder bieten einen besseren Erholungseffekt. Alltagsbewegung im Grünen und per
Rad oder ÖV erreichbare Naherholungsgebiete mit Wald sind ein Baustein persönlicher und ge –
sellschaftlicher Resilienz. Wald bindet Feinstaub und Wasser – kühlt also auch im Sommer.
Insbesondere mentale Gesundheit ist für ein stressfreies, gedeihliches Zusammenleben wich –
tig. Vertrauen in den Staat und die Gerichte kann den Unterschied zwischen schlechtem und
erholsamem Schlaf bedeuten. Für die Arbeitswelt beweisen zahlreiche Studien, wie hoch der
Wert an Vertrauen, Sicherheit des Arbeitsplatzes und berechenbaren Rahmenbedingungen ist.
Gesundheit ist unumstritten ein hoher Wert. Über gemeinsames Tun für Gesundheit können
Konflikte behoben oder zumindest vorübergehend beiseitegeschoben werden, man denken
nur an Nachbarschaftshilfe in Notzeiten oder die Befolgung im ersten Lockdown bei Corona.
Gesundheitseffekte des Klimawandels werden überwiegend noch massiv unterschätzt.
Tab. 03_04-01 : Interaktionen mit
anderen Optionen //Tab. 03_04-01: Interactions with
other options
11
03_04 / Systematische und systemische Berücksichtigung von Gesundheitsauswirkungen bei allen
Entscheidungen Zeit- und zukunftsgemäße Präventionsprozesse und -strukturen03_04.3.7 Offene Forschungsfragen
−Resilienz im Zusammenhang mit Gruppen-, Einzel- und Ausdauersport im Freien
vs. Indoors.
−Ein Volk ohne Visionen wird krank – welche Antworten können heute die Volks –
gesundheit heben?
−Evaluierung der Effizienz und Effektivität von Präventionsprogrammen geschieht
nur vereinzelt ( FGÖ – Förderungsbedingung). Gibt es einen Unterschied zu nicht
evaluierten Programmen?
−Nutzung von eHealth und social media für Prävention.
−Digitalisierung als Chance für Präzisionsprävention – von der maßgeschneider –
ten Gesundenuntersuchung bis zu individuell bevorzugten Trainingsprogrammen.
Literatur
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Barthelmes, I. Bödeker, W., Sö –
rensen, J., Kleinlercher, K.-M. &
Odoy, J. (2019). e.V., V.-V. d. B.-u.
W. Wiedereingliederungbeschäfti –
gungsfähigkeit nachhaltig sichern.
Mit der Wiedereingliederung
alle Möglichkeiten nutzen. – Ein Leitfaden für Betriebsärzte und
Personalverantwortliche.
Badura, B., Ducki, A.,
Schröder, H., Klose, J., Meyer,
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12

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